JUMA 1/2006, Selbst gemacht
JUMA 1/2006 Seiten 12-14

  Selbst gemacht

Ein Kleid nähen, ein Sportgerät bauen, einen Tisch schreinern - wer kann das schon? Sina, Felix und Sven zum Beispiel! An ihren Schulen wird das Interesse für ein Handwerk unterstützt.

Sina (rechts im Bild) und eine Freundin bei der Anprobe eines neuen Kleides. Manchmal lässt sich die Schülerin vonberühmten Modeschöpfern inspirieren.
Selbst genäht
Sina, 18 Jahre, möchte Modedesignerin werden. Seit 4 Jahren interessiert sich die Schülerin für Mode. Das Nähen hat sie sich selber beigebracht. Unter dem Dach ihres Elternhauses hat Sina sich ein kleines Atelier eingerichtet. Neben der Nähmaschine hängen einige Skizzen an der Wand: Zeichnungen von Modellen in eleganten Kleidern mit raffinierten Details. In einer anderen Ecke des Raumes steht ein Garderobenständer. Dort hängen Abendkleider, die als Jahresarbeit an der Schule entstanden sind. Die Kleider tragen so schöne Namen, wie "Ein Hauch von Venedig“, "Indische Klänge“ oder "Das Feuer von Brasilien“.
Anregungen findet Sina überall. Auf Reisen, aber auch beim Einkaufsbummel in der Stadt: "Ich bin wie ein Schwamm, der alles aufsaugt.“ Ihre Eindrücke von einer Reise nach Venedig hielt sie in einem eleganten Abendkleid fest. Am Rücken fällt der Stoff wie ein Wasserfall herab. Die Farbe des Kleides, ein kräftiges Türkis, soll an das Wasser in der italienischen Lagunenstadt erinnern.
Als Sina ihre Kleider das erste Mal auf einer Modenschau in der Schule präsentierte, war sie sehr aufgeregt. "Natürlich kostet es Überwindung, die Arbeiten in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die Kleider sind auch ein Teil von mir. Doch man wächst mit solchen Aufgaben“, sagt sie.

Sina (rechts im Bild) und eine Freundin bei der Anprobe eines neuen Kleides. Manchmal lässt sich die Schülerin vonberühmten Modeschöpfern inspirieren.
Selbst gebaut

Die Spitze war das schwerste. Dort, wo sich das Holz an einem Ende leicht nach oben krümmt, ist die schwächste Stelle der Konstruktion. "Damit man das Holz biegen kann, muss man es sechs Stunden in Wasser tränken. Dann kommt es in eine Röhre und wird mit Wasserdampf erhitzt. Den Rest macht eine Schablone. Sie bringt das warme und weiche Holz in Form“, erzählt Felix, 18 Jahre. Der Schüler baute sich Telemarkskier. Der Telemarkski ist ein besonders breiter Ski. Eine Urform der heutigen Modelle, die aus Norwegen stammt. "Als Jahresarbeit an meiner Schule wollte ich unbedingt etwas Praktisches machen. Etwas, an dem ich auch später noch Spaß habe“, erklärt er sein Projekt.
Mehrere Tage musste Felix die Bretter für die Skier hobeln. "Damit man nicht im Tiefschnee versinkt, müssen die Skier besonders breit sein“, sagt er. Mit den Telemarkskiern kann man weit weg von den Pisten eine Tour machen und unbefahrene Gebiete erforschen. Wie viel Spaß man damit hat, erfuhr Felix in den Ferien. In den Schweizer Alpen probierte er die selbst gebauten Skier zum ersten Mal aus. Mit den praktischen "Brettern“ konnte er auch steile Hänge hoch wandern. Als einmal der Lift streikte, ging er zu Fuß in Richtung Gipfel und erreichte so 2 1/2 Stunden früher als die anderen Skiläufer das Ziel. "Mit den Skiern kommt man überall hin. Auch dorthin, wo sonst niemand ist“, schwärmt er seitdem und meint: "Eigentlich ist es doch der Wunsch eines jeden Skifahrers, sich total frei und unabhängig von den präparierten Pisten zu bewegen.“

Selbst geschreinert

"Nein, Tischler wollte ich nicht werden, obwohl mir das Schreinern Spaß macht“, sagt Sven, 22 Jahre. Ausprobieren konnte er das Handwerk an seiner Schule. Dort gehört das Schreinern von Möbelstücken zum Stundenplan. Aus dieser Zeit stammt auch der Couchtisch, den Sven selbst entworfen und gebaut hat. Heute hat das moderne Möbelstück einen Ehrenplatz in seinem Zimmer.
Die Tischplatte ist aus Glas. Die beiden Schubladen lassen sich an zwei Seiten aufziehen, so dass man eigentlich vier Fächer hat. Sie geben dem Tisch seine ganz besondere Note (1). So etwas findet man sicherlich in keinem Möbelgeschäft. "Man erhält etwas ganz Individuelles, wenn man etwas selber macht“, sagt Sven mit Stolz in der Stimme.
Natürlich ist es einfacher, einen Tisch in einem Geschäft zu kaufen, sieht er ein. Doch wenn man etwas Spezielles sucht, ist es meistens schwer, dieses auch zu finden. "Man muss schon sehr lange suchen und dann meistens einen Kompromiss machen“, findet der Hobby-Tischler. Heute ist Sven, der gerade eben seine Ausbildung zum Hotelkaufmann abge- schlossen hat, nur noch selten als Möbelbauer aktiv. Ihm fehlt nicht nur die Zeit, sondern auch das notwendige Werkzeug.
Der Tisch ist ein Einzelstück und wird es deshalb wohl auch bleiben. Ein Möbel, das Sven bestimmt ein Leben lang in Ehren hält (2).
Text:
Petra Kroll; Fotos: Hacky Hagemeyer


Die Jahresarbeit

Die so genannte Jahresarbeit ist Bestandteil des 12. Schuljahrs an freien Waldorfschulen. Das sind Privatschulen, die den Ideen des Pädagogen Rudolf Steiner folgen. Die Schüler sollen sich ein Jahr lang intensiv mit einem Thema sowohl praktisch als auch theoretisch auseinandersetzen. Das Thema ist nicht an Unterrichtsfächer gebunden, sondern kann frei gewählt werden. Am Ende des 12. Schuljahres stellt jeder Schüler seine Arbeit einem Publikum vor.

Worterklärungen

1 eine besondere Note - etwas Individuelles
2 etwas in Ehren halten - etwas besonders achten

 

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