JUMA 3/2005, Ganz weit weg
JUMA 3/2005 Seite 34

 
Leseprobe

Ganz weit weg

"Aaaaaaaahhhhhh!", Lucia wacht auf, sie liegt schweißgebadet im Bett.
In ihrem Bett? Da ist s
chon wieder eine dieser verflixten Fragen.
Und da war auch wieder dieser Traum, den sie jetzt schon so oft in diesem Bett hatte, seit sie in England ist.
Sie setzt sich hin, macht das Licht an und öffnet die Schublade des Nachttischchens. Sie holt ein Buch raus und blättert drin rum. Die Zeilen verschwimmen vor ihren Augen. Lisa? - Katja? - Sarah? Immer wieder schwirren diese Namen durch ihren Kopf. Mal erscheinen sie rechts auf der Seite, mal links, irgendwo oben oder unten. Am liebsten würde Lucia diese Namen packen und ganz nach unten in die Schublade stecken, doch so einfach geht das nicht. Das Buch steckt sie weg, aber die Namen, die schwirren immer noch durch ihr Zimmer. Ihr Zimmer? Nicht ganz ihr Geschmack, aber ihre Gasteltern haben sich immerhin Mühe gegeben. Sie knipst das Licht aus und legt sich wieder hin. Sie versucht zu schlafen, aber es geht nicht. Sosehr sie auch die Augen zudrückt und versucht an etwas Schönes zu denken, sie kann doch nicht einschlafen. Es klappt einfach nicht. Morgen wird sie wieder total k.o. sein. Sie wird ihre schlechte Laune an Sarah auslassen, obwohl die es ganz und gar nicht verdient hat.
Mit diesem Gedanken schläft Lucia dann doch ein.

"Riiing, riing, ring!"
"Sarah, du? Was machst du denn so früh hier?" Da fällt es Lucia wieder ein, sie hat die Schule ganz vergessen, vor ihrer Tür steht Sarah mit ihren Schulsachen und wartet.
Hops, rechtes Hosenbein. Hops, linkes Hosenbein. Ratsch. Hose zu. Die Zahnbürste in die rechte Hand, das Schulzeug in die andere. Schnell den Schaum aus dem Mund, einen Blick in den Spiegel, ein T-Shirt über und dann steht Lucia neben Sarah auf der Straße.
Die beiden gehen schweigend nebeneinander her. Auch diesen morgen werden sie wieder zu spät zur Schule kommen.

Es gongt zur großen Pause, die Klassentüren werden aufgerissen und die Schüler stürmen aus den Räumen. Lucia ist bei den Ersten, sie will sich noch einen Computer ergattern. Sie muss jetzt unbedingt ihre E-Mails abrufen.
Lucia Hiesig: Ihr Postfach enthält vier neue E-Mails. Einmal Werbung. Löschen! Eine Kettenmail. Das Lesen eilt nicht. Eine von Mike. Kann sie auch später lesen. Und dann eine von Lisa. Die muss sie jetzt sofort lesen:

hey lucy!
wie geht es dir? mir geht es echt super. die schule läuft einigermaßen, aber das wochenende war dafür doppelt so gut. habe schon lange nicht mehr so gefeiert. ich war mit katja unterwegs. wir sind mit dem zug nach frankfurt gefahren. und ich sag dir, da ging die post ab, wir hatten einen wahnsinnigen spaß. mir ging es danach jedenfalls nicht mehr so gut, aber katja hat mich sicher zum bahnhof verfrachtet.
lass mal wieder was von dir hören.
ciao lisa

Lucia ist den Tränen nahe.
Lisa, ihre beste Freundin, ihre eigentlich beste Freundin, unternimmt am Wochenende jetzt immer etwas mit Katja. In jeder E-Mail von Lisa kommt Katja vor. Katja hier, Katja da. Ihr hängt dieser Name schon zum Hals raus.
Lucia kann es zwar irgendwie verstehen, dass Lisa, während sie weg ist, nicht alleine rumhängen will. Schließlich war es ja sie, die unbedingt ein Jahr ins Ausland wollte. Trotzdem hat sie nicht damit gerechnet, dass Lisa ihre Freundschaft einfach so wegwischt und austauscht. Sie selber hat sich ja Mühe gegeben, dass die Freundschaft bestehen bleibt. Sie hat Lisa Briefe geschrieben mit Fotos und kleinen Souvenirs. Doch von Lisa hat sie noch nicht einmal zum Geburtstag einen Brief, geschweige denn ein Geschenk bekommen, nur eine kurze E-Mail: happy birthday! Nein, sie kann es einfach nicht glauben, dass so was so schnell gehen kann.
"Lucia, darf ich bitte mal an den Computer?", ein Junge steht hinter Lucia und tippt ihr auf die Schulter. Lucia dreht sich erschrocken um, sie steht schweigend auf und überlässt ihm den PC. Sie hat sowieso gesehen, was sie sehen wollte oder was sie eigentlich nicht sehen wollte.

Die nächsten Schulstunden verlaufen wie üblich, sie sitzt neben Sarah und lässt sich von den Lehrern auf Englisch voll dröhnen. Nur in Mathe und Deutsch ist sie einigermaßen bei der Sache. Zum Glück haben sie heute nur sieben Stunden. Vielleicht geht sie noch mit zu Sarah, deren Mutter kocht immer so gut. Bei ihr zu Hause ist im Moment sowieso keiner, ihre Gasteltern sind auf einer Dienstreise und haben die "echte" Tochter mitgenommen Das ist Lucia im Moment ganz recht.

Berit Bretschneider: Ganz weit weg. Aus: Dorothee Dengel/Dagmar Kalinke (Hg.) Einfach unschlagbar! Beste Freundinnen © 2004 Deutscher Taschenbuch Verlag, München

 

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