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JUMA 2/2005, Kohlsuppe, Holzschuhe und ein 18-Stunden-Tag
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JUMA 2/2005 Seite 30-32
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In einem Mittelalterdorf können Schüler hautnah erfahren, wie schwer das Leben früher war.
Kohlsuppe, Holzschuhe und ein
18-Stunden-Tag
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Museumspädagoge Hans-Georg Ehlers erklärt den Schülern die Regeln im Dorf |
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Gisbert van Achterndiek wird ihnen zeigen, wie man eine Schreibtafel aus Wachs herstellt. Die acht Jungen werden die kommenden Stunden in einer Holzwerkstatt des 13. Jahrhunderts verbringen. Wie haben Menschen vor 800 Jahren gearbeitet, gegessen und gelebt? Wie sah der Alltag in einem mittelalterlichen Dorf damals aus? Es ist halb zehn, die Zeitreise beginnt. Meister Gisbert nimmt einen Holzschuh vom Regal. Er hebt ihn hoch: Was haben wir denn hier? Gute, alte Adidas. Alles grinst. Warum dürft ihr in unserem Dorf keine Turnschuhe tragen, sondern nur Schuhe aus Holz? Keine Antwort. Weil wir hier in der Marsch sind. Mit Gummisohlen geht ihr sofort unter. Auf einer Stange in der Ecke hängen acht Gewänder. Die so genannten Gugeln sehen aus wie Säcke. Anziehen, befiehlt Meister Gisbert.
Im Haus nebenan arbeitet Meister Hubert, der Schmied. Seine Lehrlinge werden heute eine mittelalterliche Sicherheitsnadel her- stellen. Damit kann man einen Umhang auf der Brust zusammenhalten. Jedes Kind bekommt einen anderen Namen: Aus Mareike wird Maria, aus Lisa Schwester Adela, aus Steffi Edeltraud, aus Julian Johannes. Selbst Schulleiter Günter Bruns heißt heute Pater Henricus.
60 Schüler und zwei Lehrer aus Buxtehude besuchen an diesem Sommertag das Dorf
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Johanna und Alex spielen Hochzeit. |
Op de Hörn. Das hat sechs Häuser, kreisförmig um eine Kirche gebaut, eine offene Kochstelle, einen Kräutergarten, einen Pranger, eine Gefängniszelle und einen Dorfweg. Um das Dorf herum steht ein hoher Zaun. Die Häuser sind aus Holz oder Lehm. Nur über die Zugbrücke kommt man ins Dorf hinein. Hier halten zwei Soldaten Wache .
Felix und Viktor haben sich freiwillig dafür gemeldet. Da müssen die anderen Respekt vor uns haben, das ist toll. In ihren roten Umhängen sind sie gut zu erkennen. Alle anderen tragen tristere Farben. Die Köche beige, die Kupferschmiede grau, die Mädchen aus der Leder- und Spinnwerkstatt gelb und blau und die Mönche und Nonnen fliederfarben. Geschrei von draußen. Gustaf, der Geselle aus der Schmiede, hat eine Wache umgebracht. Die liegt am Boden und stellt sich tot - aber grinst. Sofort ist der Dorfvogt zur Stelle. Die Wachen fuchteln mit ihren Speeren und ketten Gustaf an den Pranger. Der Vogt entscheidet, dass Gustaf aus dem Dorf gewiesen wird. Er geht zum Bogenschießen, das außerhalb des Dorfes stattfindet. Meister Gisbert von der Holzwerkstatt leitet die Dorfbewohner an. Jeder darf dreimal auf ein Schwein aus Styropor schießen. Eine Nonne sitzt an der Seite auf einem Holzklotz. Sie schreibt auf, wer wie oft getroffen hat. Was braucht man beim Bogenschießen? Kraft, sagt Furhan. Gute Augen, sagt Marcel. Übung, sagt der Meister.
Johanna kommt angelaufen. Sie schließt heute den Bund fürs Leben. Eigentlich wollte Alex Svenja heiraten, aber das Brautkleid war ihr zu klein. Jetzt heiratet Alex Johanna, sagt eine ihrer Freundinnen. Früher sind die Menschen doch schon mit 22 gestorben. Da ist es doch total egal, wen man heiratet.
Der Vogt läutet die Kirchenglocke und ruft zum Frühstück. Wir haben Schmalz, Quark und Brot, sagt er. Was wir nicht haben, ist Nutella. Warum? Stille. Woraus wird Nutella gemacht? Aus Kakao, ruft schließlich einer. Richtig. Und den haben wir nicht. Der kommt aus Amerika. Den bringt erst Kolumbus mit, und das dauert noch 200 Jahre. Nach dem Frühstück haben die Tischlergesellen ihre hölzernen Tafeln ausgehöhlt. Jetzt reiben sie Holzkohle für das Wachs. Zwei, drei Esslöffel pro Tafel sind nötig; Meister Gisbert mischt die Kohle unter das heiße Wachs und gießt die Fläche damit aus. Fünf bis zehn Minuten müssen die Tafeln jetzt ruhig liegen. Nicht an den Tisch stoßen, sonst sind sie hin, sagt der Meister.
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Ein Restaurant gibt es nicht im Dorf. Die Schüler backen Brötchen und kochen Suppe für das Mittagessen. |
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In der Lederwerkstatt werden die ersten Geldbeutel fertig. Meisterin Maren hat mit ihren Lehrlingen Armbänder aus Sisal und bunten Steinen geflochten. In der Küche backt Meisterin Andrea mit ihren Gesellen 80 Kornbrötchen fürs Mittagessen. Die Kohlsuppe steht bereits in einem riesigen Topf auf dem Feuer.
Erneut läutet der Vogt die Glocke. Das Ergebnis des Bogenschießens wird verkündet: Henrik hat zweimal getroffen; damit ist er der beste Schütze.
Alex und Johanna kommen näher; Johanna, im blauen Hochzeitskleid, hat eine Strauß Sonnenblumen in der Hand. Beide tauschen die Ringe. Johanna wirft den Brautstrauß, Mira fängt ihn auf, und das Dorf marschiert in einem Festzug einmal um die Kirche und an die Kochstelle. Das Festmahl wartet. Dann ist es eins und die Zeitreise vorbei. Aufräumen, zusammenpacken, umziehen - und in den Bus, der die Schüler zurück nach Hause bringt. Ich fänds schön, wenn wir einen ganzen Tag hier gewesen wären, und vielleicht noch einen Abend mit Lagerfeuer, sagt Svenja. Hätte sie denn im Mittelalter leben wollen? So hart arbeiten, und immer bis spät in die Nacht - und dann nur Kohlsuppe? Bestimmt nicht!
Margot Weber
Worterklärungen
1 Marsch - Küstengebiet mit fruchtbarem, oft nassem Boden 2 Pranger - öffentlicher Ort, an dem Gefangene angekettet wurden
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