JUMA 2/2005, Eine eigene Welt
JUMA 2/2005 Seiten 24-27

  Eine eigene Welt

In Deutschland leben und lernen 11 000 der 6,1 Millionen Schüler als Interne in einem Internat. JUMA hat das private Internat Schloss Stein in Bayern besucht und dabei einiges über das Internatsleben erfahren.

Schloss Stein entstand 1565. Aus der Vogelperspektive wirkt es wie aus dem Modellbaukasten. Seine Besitzer wechselten häufig und es wurde mehrfach umgebaut. Seit 1948 beherbergt es ein Internat, dessen Schüler hier leben.
Schloss Stein ist zugleich Gymnasium und Internat. Es liegt am Rand des 767-Einwohner-Ortes Stein an der Traun. 111 interne Internatsschüler leben hier und gehen hier zur Schule. Hinzu kommen 40 ”Halbinterne“, die nicht ”auf Stein“ übernachten. Zwei Drittel der Schüler sind Jungen. Unterrichtet werden die Klassen 5 bis 13.
Marc, 19, ist seit zweieinhalb Jahren hier. Seine Eltern haben sich getrennt und sein Vater ging als Manager ins Ausland. Da Marc in Ruhe sein Abitur machen wollte, entschied er sich fürs Internat. ”Stein“ stand bei einem Ranking (1) auf Platz 1. Deshalb hat er es sich in den Ferien mit seinem Vater angeschaut. Der Internatsleiter hat die beiden persönlich durch die Gebäude geführt. Marc fühlte sich sofort wohl: ”Die Stimmung unter den Schülern ist gut, die Lehrer gehen auf jeden Einzelnen ein, das Sport- und Freizeitangebot könnte nicht besser sein!“
Das Internatsleben hat Marc gut getan. Er verbesserte jedes Ausreichend in ein Befriedigend. Seine Durchschnittsnote liegt heute bei 1,7. In einer staatlichen Schule hätte er das nach eigenen Angaben (2) nie geschafft.

Optimale Lern- und Arbeitsbedingungen

Anna findet die Regeln auf Stein gut. Marc will sein Abitur in Ruhe machen.
Der Besuch staatlicher Schulen ist in Deutschland kostenlos. Fast alle Internate sind privat und kosten jeden Monat relativ viel Geld. Kauft man damit das Abitur?
”Die Zensuren bei uns“, sagt Schul-leiter Franz Werner, ”sind nicht besser und nicht schlechter als an öffentlichen Schulen. Wir sind staatlich anerkannt und werden vom Ministerium streng überwacht.“ Internatschülerin Christina, 19, hat sich zum Vergleich Klassenarbeiten von einem benachbarten Gymnasium besorgt. Das Ergebnis: ”Der Stoff (3) ist dort genauso schwer wie bei uns!“
”Die Eltern kaufen optimale Lern- und Arbeitsbedingungen“, sagt Sebastian Ziegler, der Schloss Stein in der 3. Generation (4) leitet und einst selber Schüler hier war, ”aber sie kaufen keine Versetzung und auch nicht das Abitur.“
Optimale Lern- und Arbeitsbedingungen bedeuten hier: In der Unterstufe gehen 6-8 Schüler in eine Klasse; in der Mittelstufe sind es 15-20 Schüler; in der Oberstufe finden Leistungskurse (5) ab 4 Schülern statt; nachmittags und abends stehen Neigungskurse wie Theater, Fußball, Chor, Karate, Rugby, Töpfern, Tennis oder Reiten auf dem Stundenplan; Hausaufgaben werden zu festgelegten Arbeitsstunden gemacht und überwacht. Das alles ist an staatlichen Schulen nicht möglich - und aus Schülersicht nicht immer vorteilhaft: ”Man ist permanent dabei, man muss immer lernen, man muss immer vorbereitet sein“, stellt Benjamin, 17, fest. Bei Problemen vermitteln Lehrer, Direktor und Internatsleiter sofort. ”Manche Schüler brauchen das“, meint Melanie, 17.
Viele Schüler kommen wegen ihrer schlechten Noten aufs Internat, manche sogar gegen ihren Wille
n. ”Hoffnungslose Fälle nehmen wir aber nicht“, so der stellvertretende Schulleiter, Friedrich Flamm. Alle Schüler müssen vor der Aufnahme ein 2-stündiges Aufnahmegespräch bestehen.

Strenge Regeln

”Auf Stein“ gelten strenge Regeln: Weckzeit ist um halb sieben, Bettruhe um halb elf. Die Schüler dürfen im Unterricht keine Turnschuhe tragen. Ein Kleidungsstück muss von der Schule sein und deren Abzeichen tragen, zum Beispiel das Polo-Shirt oder die Krawatte. Jeans haben sauber und ordentlich auszusehen. Wer ein Auto hat, darf es nur zweimal in der Woche benutzen. Rauchen ist erst ab 16, ab Klasse 10 und nur an zwei bestimmten Orten erlaubt. Fernseher auf dem Zimmer sind untersagt. Die Teilnahme an den drei Mahlzeiten ist Pflicht. Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Höflichkeit verstehen sich von selbst. Manche fühlen sich wegen der vielen Regeln ”wie im Gefängnis“. Anna, 20, ist jedoch überzeugt: ”Ohne Regeln funktioniert es nicht. Früher war es lockerer. Da ging alles drunter und drüber (6).“ Anna wollte wie ihr Bruder unbedingt aufs Internat, ”weil der immer die tollsten Freunde aus ganz Deutschland hatte!“ Annas Eltern konnten sich das aber erst leisten, nachdem ihr Bruder mit der Schule fertig war. Die Plätze für Stipendiaten (7) sind nämlich begrenzt.
Beim Verstoß gegen eine Regel drohen Strafen wie Tischdienst (8) oder eine Stunde Joggen morgens um sechs. Wer mehr als vier Verweise im Jahr bekommt, muss die Schule verlassen. Dasselbe gilt bei Alkohol- und Drogenmissbrauch, Diebstahl oder körperlicher Gewalt. Für die Einhaltung der Regeln sorgen Erzieher. Sie sind auch bei Problemen jederzeit ansprechbar. ”Wenn einer morgens um drei vor der Tür steht und Heimweh hat“, sagt Haupterzieher Severin Murea, ”bin ich für ihn da!“

Starkes Gemeinschaftsgefühl

Gemeinschaft gibt es auf Stein nicht nur im Unterricht, sondern auch bei den Hausaufgaben.
Jüngere Internatsschüler teilen sich zu mehreren ein Zimmer, in der Mittelstufe sind es zwei bis drei, für Schüler ab Klasse 11 gibt es auch Einzelzimmer im Schloss. Weil die Schüler 24 Stunden am Tag auf relativ engem Raum zusammenleben und kaum Privatleben möglich ist, treten immer wieder Konflikte auf. Internatsschüler sind aber durch das Gemeinschaftsleben gezwungen, miteinander auszukommen. ”Wir Steiner lernen“, sagt Anna, 20, ”solche Konflikte auszutragen und zu lösen.“ Andererseits gibt es ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das auch nach dem Abitur nicht endet: viele ”Altsteiner“ bilden ein Netzwerk und treffen sich regelmäßig im Schloss. ”Nach außen“ halten alle ohnehin zusammen. Als auf dem Schulhof fremde Jugendliche randalierten, sahen sie sich plötzlich 150 ”Steinern“ gegenüber.
Sind ”Steiner“ Snobs (9)? ”Hier zählt nur, wie der Einzelne ist“, sagt Philipp, 20, ”Geld und Familie spielen keine Rolle!
Junge Deutschlerner aus aller Welt können Schloss Stein persönlich kennen lernen. Das Goethe-Institut veranstaltet dort unter dem Motto ”Deutsch lernen in Deutschland“ im Sommer einen 3-wöchigen Jugendkurs.
Jörg-Manfred Unger

Worterklärungen

1 Ranking (englisch) - die Rangliste
2 nach eigenen Angaben - seinen Worten nach
3 Stoff - hier: der Lernstoff
4 in der 3. Generation - hier: nach dem Vater und Großvater
5  Leistungskurs - intensiver Fachunter- richt mit 5 Wochenstunden in den Klassen 12 und 13
6  drunter und drüber gehen - chaotisch sein
7 Stipendiat - hier: jemand, für den ”auf Stein“ eine Stiftung das Schulgeld zahlt
8 Tischdienst - das Auf- und Abräumen im Speisesaal
9 Snob - jemand, der sich für besser als andere hält
 

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