JUMA 3/2004, Gelebte Träume
JUMA 3/2004 Seite 12-13

  Gelebte Träume

Für eine Zeit lang das normale Leben verlassen, in eine andere Rolle schlüpfen, das kann man nicht nur im Karneval. Einige deutsche Vereine haben das Hobby, das Leben anderer Kulturen zu kopieren - von den Ureinwohnern Amerikas bis zu den Hunnen.

Die ganze Familie macht mit: Adjan (rechts) mit seinen Eltern und den Geschwistern im Hunnenlager.
Adjan, 14 Jahre, und Manuel, 13 Jahre, schwitzen. Kein Wunder! Es ist Sommer und über 30 Grad warm. Doch die beiden tragen lange schwarze Hosen, Kaftan (1), Lederhelm und Schaffelle auf dem Rücken. Das muss sein: Drei Tage lang leben die beiden als Hunnen im Lager ihres Vereins, der 1. Kölner Hunnenhorde. Besucher kommen auf die Wiese am Rand eines Parks. Sie staunen und fotografieren. Jedes Jahr gibt es diese Veranstaltung, die Geld in die Vereinskasse bringen soll.

Originell, aber nicht ganz originalgetreu ist das Hunnenlager in Köln: Auf einige Vorteile der modernen Zivilisation will man nämlich nicht verzichten. Doch die Kühlschränke in den Zelten und die Plastikplanen gegen den Regen sind überall gut versteckt.
Vor dem Kinderzelt am Rand des Bahndamms ist ein wenig Schatten. Von hier kann man das ganze Lager überblicken. Fünf Zelte weiter ist die große Jurte (2) des Herrschers der Hunnen, Attila. Laufend kommen Mitglieder anderer Stämme: Gladiatoren, Mongolen und andere Hunnen. Sie begrüßen den Herrscher, der mit seiner Frau im Eingang thront.

Ein Hobby der Eltern

In der Mitte der Wiese steht der Kral der Schamanen (3). Knochen mit magischen Symbolen hängen am Eingang. Dort darf nur Ahoachi, Adjans jüngerer Bruder, hinein. Er ist Lehrling des Schamanen, der im Hauptberuf Hausmeister ist. Wie er sind die meisten Mitglieder des Vereins Erwachsene aus bürgerlichen Berufen. Jugendliche wie Adjan, Manuel und Ahoachi kommen meistens durch ihre Eltern zur Gruppe. Besonders Kinder und jüngere Jugendliche haben Spaß an der Sache. "Mit 17, 18 Jahren verlassen uns viele", erklärt Kurt Braun, Pressewart der Hunnen, "da kommen andere Interessen ins Spiel." Fünf Jahre später sei das Interesse dann oft wieder da.

"Unsere Mutter kennt die Hunnen schon seit Jahren", erzählt Adjan. Ganz früher war sie in der Tanzgruppe des Vereins. "Jetzt ist unsere ganze Familie Mitglied bei den Hunnen." Ihn faszinieren das Leben des Reitervolks und das Tragen der Kostüme und der Waffen. Verkleiden darf er sich nicht nur im Lager: Mehrmals jährlich zieht die Hunnenhorde zu Treffen mit anderen Stämmen oder tritt bei Veranstaltungen auf. Am Kölner Rosenmontagszug (4) nimmt die Gruppe jedoch nicht teil. "Zu viele Vorschriften", erklärt der Pressesprecher.

Urlaub ohne Vollpension

Frauen haben in der indianischen Tradition eine besondere Rolle. Sie haben in den Tipis das Sagen. Wer das Hobby der Indianistik ernst nimmt, versucht danach zu leben.
250 Kilometer weiter nördlich stehen Tipis (5) und Trapperzelte (6) auf einer Wiese. Am Rand des Dorfes Vrees in Niedersachsen, neben der Wanderreitstation von Dieter Elbers, machen 25 Hobby-Indianer Urlaub. 14 Tage reiten, Bogen schießen, Kanu fahren, tanzen und Erfahrungen austauschen - das praktizieren die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die hier gemeinsam in ihren Ferien zusammen
leben. Völlig ohne Fernsehen und Computerspiele, ohne festes Programm und Vollpension.

Jan, 17 Jahre, Markus, 15 Jahre, und Jerome, 13 Jahre, lieben diese Art des Urlaubs. Jan erzählt: "Es ist nicht so wie Zelten gehen, da hast du deinen Campingkocher. Hier kann man andere Dinge lernen, wie Feuer für das Essen machen - ohne Streichhölzer und Feuerzeug." Und Markus ergänzt: "Unsere Klamotten machen wir auch selbst." Zu seiner Ausrüstung gehören ein Hemd aus Hirschleder, Lendenschurz, Leggins (7) und Mokkassins (8).

Eltern reagieren unterschiedlich

Uhren gibt es keine im Camp. Darum beginnt der Tag, wenn man aufwacht, und endet, wenn man müde ist. Die Jugendlichen schlafen in ihren Tipis auf Betten aus Balken und Weidenstangen und decken sich mit Fellen zu. Überall hängen selbst gemachte Tanzglocken und Rasseln, Handtrommeln, Bogen, Köcher mit Pfeilen, Taschen, Schmuck, Trinkflaschen und Fächer aus Federn. Zu Essen gibt es getrocknetes Fleisch oder andere indianische Gerichte. Oft kocht die ganze Gruppe gemeinsam.

Seit drei Jahren ist die Indianistik das Hobby der drei Jugendlichen. "Wir haben damals bei einer Ferienpassaktion9 in Wilhelmshaven mitgemacht", erzählt Jan. Der Verein "Cheyenne", der dort eine Westernstadt mit Armeeplatz, Indianerplatz und Trapperplatz betreibt, hatte die Jugendlichen eingeladen. Die drei fanden es dort so gut, dass sie in den Verein eintraten.
Bekannte und Eltern reagierten unterschiedlich. "Ein paar Leute in meiner Klasse respektierten das, andere reagierten spöttisch", berichtet Jan, "doch meine Eltern fanden das klasse." Sie stören sich auch nicht an der eisernen Bratpfanne, die seitdem unter Jans Bett steht. Jerome dagegen hat ein kleines Problem: "Meiner Mutter wird das zu extrem. Ich habe den ganzen Schmuck im Zimmer, und manche Sachen riechen nach Rauch vom Lagerfeuer." Darum muss er alles auslüften, wenn er aus der Westernstadt kommt. Doch darum das Hobby aufgeben? "Niemals!", gibt Jerome sein großes indianisches Ehrenwort. Wenn das nichts wert ist!
Christian Vogeler

1 Kaftan - Orientalisches Kleidungsstück
2 Jurte - asiatisches Rundzelt
3 Kral der Schamanen - Ort, wo die Priester leben
4 Rosenmontagszug - Karnevalistischer Umzug im Rheinland
5 Tipi - indianisches Zelt
6 Trapperzelt - Zelt der Fallensteller
7 Leggins - indianische Beinkleider
8 Mokkassins - indianische Schuhe
9 Ferienpassaktion - Aktion für Kinder, die in den Ferien mit einem speziellen Pass an verschiedenen    Freizeitprogrammen in ihrer Stadt teilnehmen können
 

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