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Die Vielfalt fördern
Direkt hinter der deutsch-dänischen Grenze gehören ungefähr 20 000 Menschen zur deutschen Minderheit. Das Gebiet, in dem sie wohnen, heißt Sønderjylland, also südlicher Teil des dänischen Landesteils Jütland. Die deutsche Minderheit nennt es Nordschleswig.
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Das wäre in Deutschland nicht möglich: Rektorin Ilse Friis und Schülersprecherin Hanne duzen sich (links). |
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Jeden Morgen um 5.30 Uhr startet der Schulbus an der Westküste. Seine Tour geht entlang der Grenze Richtung Osten. Fast 2 Stunden später steigt Hanne, 18 Jahre alt, in den Bus. Hier, in Rapstedt1, lebt sie mit ihren Eltern und vier Geschwistern. Ihre dänische Mutter leitet die kleinste deutsche Schule auf der dänischen Seite, Hannes Vater arbeitet als deutscher Lehrer in Schleswig-Holstein. Ich bin ein typisches Minderheitenkind, sagt sie selbst.
Die Fahrt geht bis nach Apenrade1 an der Ostküste zum Deutschen Gymnasium für Nordschleswig. 126 Schülerinnen und Schüler werden hier in 7 Klassen unterrichtet. Die meisten kommen täglich mit dem Bus aus der näheren und weiteren Umgebung. Für die anderen gibt es ein Internat.
Heute sind 19 Schüler der Klasse 10 aus der deutschen Schule in Sonderburg1 zu Besuch. In einem dreitägigen Schnupperkurs lernen sie das Gymnasium kennen, das von der 11. bis zur 13. Klasse führt. Voraussetzung für die Aufnahme ist die schulische Qualifikation, nicht die Zugehörigkeit zur Minderheit (siehe Kasten). Insgesamt gibt es 17 deutsche Privatschulen mit etwa 1300 Schülern in Nordschleswig. Am Ende ihrer Schulzeit erlangen die Jugendlichen Abschlüsse, die in Dänemark und Deutschland anerkannt werden.
Hanne, Schülersprecherin des Gymnasiums, betreut die Gäste aus Sonderburg. Am Deutschen Gymnasium gibt es einen sprachlichen und einen mathematischen Zweig. Besonders neugierig sind die Jugendlichen auf die Laptops, die jeder bekommt. EDV-Unterricht ist an allen Gymnasien in Dänemark vorgeschrieben, erklärt Ilse Friis, die Schulleiterin. Wir wollten flexibel sein, darum gibt es keinen Computerraum. Wie das im Schulalltag aussieht, erklärt Hanne: Über das Schulnetz bekommen wir Übungsblätter oder können im Internet recherchieren. Das ganze System funktioniert drahtlos, und darum sieht man an den verschiedensten Stellen in der Schule Jugendliche an ihren Laptops arbeiten.
Wie man sieht, bedeutet Minderheit also keinesfalls Rückständigkeit. Das wird auch aus einer Informationsschrift der Schule deutlich. Arbeitsformen wie Gruppen- und Projektarbeit, fachübergreifender Unterricht und Studientage gehören zum Schulprogramm. Statt Volkstanz erarbeiten die Schüler moderne Theaterstücke. Neben dem Schulorchester gibt es Arbeitsgemeinschaften für Jazz- und Rockbands.
In der Informationsschrift heißt es außerdem: Wenn du lernen möchtest und dich für die Welt interessierst, dann komme zu uns, denn an unserem Gymnasium werden dein Deutsch und dein Dänisch gefestigt und entwickelt. Zusammen mit deinen Fremdsprachenkenntnissen in Englisch und Französisch bilden sie die Grundlage für ein persönliches Weiterkommen in einem zusammenwachsenden Europa. Und was sprechen die Schüler, wenn sie sich in der Pause treffen? Synnejysk, erwidert Hanne lachend. Das ist ein dänischer Dialekt, der im Süden Dänemarks gesprochen wird.
Schulschluss ist meistens um 14.30 Uhr. Wenn man nicht gerade im Bus sitzt oder Schularbeiten machen muss, gibt es nun ein großes Freizeitangebot für die deutsche Minderheit: Sportvereine, Büchereien, Kirchen und die politische Jugendorganisation junge SPitzen der Schleswigschen Partei, kurz SP. Wir wollen die kulturelle Vielfalt fördern, erläutert Hanne, die sich in dieser Organisation engagiert. Als das Schengener Abkommen2 wirksam wurde, fuhr sie gemeinsam mit anderen Mitgliedern mit einer Europaflagge an die Grenze. Leider wurden wir böse beschimpft, berichtet sie, denn dänische Europagegner waren ebenfalls vor Ort. Doch das waren alles alte Leute, erklärt sie. Unter Jugendlichen ist ihr so etwas noch nicht passiert. Im Gegenteil. Der Umgang ist völlig locker, wie ihr Beispiel beweist: Bei einem Handballturnier interessierten sich junge Dänen für die Trainingsanzüge eines deutschen Vereins, weil da MTV drauf stand. Wir haben ihnen erklärt, dass wir nicht für den bekannten Musiksender Reklame laufen, sondern dass MTV Männer-Turn-Verein bedeutet.
Christian Vogeler
1 Alle Ortsnamen im Artikel erscheinen in der deutschen Bezeichnung, wie sie auch von der Minderheit benutzt werden. Die dänischen Bezeichnungen lauten (in der Reihenfolge ihrer Erwähnung: Ravsted, Aabenraa, Sønderborg)
2 Schengener Abkommen Abkommen der europäischen Staaten zum Abbau der Binnengrenzen
Minderheiten auf beiden Seiten
Die deutsch-dänische Grenzregion liegt im früheren Herzogtum Schleswig; das wurde 1920 nach einer Volksabstimmung in einen (nördlichen) dänischen und einen (südlichen) deutschen Teil getrennt. So entstanden eine deutsche und eine dänische Minderheit: Die Nordschleswiger und die Südschleswiger. Die Grundlage für das friedliche Miteinander, das bis heute Bestand hat, wurde 1955 mit den Bonn-Kopenhagener Erklärungen gelegt: Sie sorgten (unter anderem) für gleiche Rechte für die Minderheiten beiderseits der Grenze, Anerkennung der kulturellen Identität und die Regelung der Frage der Minderheitsschulen. Außerdem gilt die sogenannte Bekenntnisfreiheit: Jeder hat das Recht, sich zu einer Minderheit oder Volksgruppe zu bekennen. Es wird nicht kontrolliert, in Frage gestellt oder bestritten. Aus diesem Grund sind keine genauen Angaben über die Zahl der Minderheiten möglich.
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