JUMA 2/2005 Seite 16-19
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Unter Segeln lernen Sechseinhalb Monate lang segeln 29 Schüler mit ihren Lehrern und einer erfahrenen Stammbesatzung mit dem Segelschiff Thor Heyerdahl von Kiel über Teneriffa nach Martinique, Costa Rica, Kuba, Mexiko und zu den Bermudas. JUMA berichtet in zwei Teilen von dieser abenteuerlichen Reise.
Svenja, 17 Jahre, kommt aus Kassel. Sie hat noch keine Erfahrungen mit Segelreisen. Bedenken mischen sich mit Vorfreude. Man verlässt das gewohnte Umfeld, seine Eltern, die Freunde. Kontakt nach Hause haben wir nur, wenn wir an Land sind. Angst habe ich vor Weihnachten. Weihnachten und Silvester sind wir auf See. Doch ich freue mich auf die Delfine, die das Schiff begleiten werden. Von ihrer Mutter hat Svenja zum Trost einen Adventskalender und Lebkuchen bekommen. Philipp, 19 Jahre, ist mit Farbe und Pinsel an Deck beschäftigt. Er ist seit einem Jahr Internatsschüler an der Hermann-Lietz-Schule in Meckenheim und hat einen Segelschein. Philipp freut sich auf die Reise: Das ist ein einmaliges Erlebnis. Meine Eltern stehen total hinter mir. Sie finden super, dass ich das mache. Ich möchte die verschiedenen Kulturen kennen lernen. Ich habe einen Anfängerkurs Spanisch gemacht. Der Höhepunkt ist die Fahrt über den Atlantik. Angst habe ich nur, dass ein heftiger Sturm aufkommen könnte. Jule, 17 Jahre, steht in der Messe, schmiert Brötchen und kocht Tee für die anderen. Normalerweise geht sie auf ein staatliches Gymnasium in Kiel. Jule hat sich gleich nach dem Halbjahreszeugnis der Klasse 10 für die Fahrt beworben. Die Thor Heyerdahl ist ihr nicht unbekannt. Ich habe schon mal eine kürzere Fahrt mitgemacht, erzählt sie. Ihre Wünsche: Ich hoffe, dass die Reise schön wird, dass ich viel erlebe und dass wir heil wieder zurückkommen. Doch ein bisschen unsicher ist Jule auch: Ich hoffe, dass es keinen Ärger mit den anderen gibt. Und: Ich weiß nicht, wie es ist, wenn man wiederkommt.
Eine komfortable Vergnügungsreise ist die Fahrt auf der Thor Heyerdahl also nicht. Doch dafür bekommen die Jugendlichen etwas geboten, was in Deutschland einmalig ist. Detlev Soitzek, 54 Jahre, Kapitän und Eigner der Thor Heyerdahl, sagt dazu: Die Jugendlichen bekommen eine umfassende seemännische und seglerische Ausbildung. Das Ziel ist es, dass sie das Schiff übernehmen und selbstständig zurücksegeln. Sie wählen ihren eigenen Kapitän und Wachführer. Da muss man navigieren können, Segel setzen und bergen, aber auch kochen und die Maschine bedienen. Sie sind persönlich gefordert und für alle da. Das weiß jeder, der schon mal einen Sturm draußen auf dem Meer erlebt hat. Das ist es auch, was mich motiviert, immer wieder diese Reise zu machen. Es ist für uns ein hohes Risiko und eine große Verantwortung. Doch solche hoch motivierten, leistungsfähigen Jugendlichen sollen die Möglichkeit bekommen, diese Leistungen zu bringen. In der Schule sind sie eher theoretisch gefordert und können diese Fähigkeiten nicht ausleben. Unterstützung bekommt er von der Stammbesatzung. Das sind bei der Abfahrt Schüler und Studenten mit Segelausbildung auf der Thor Heyerdahl, ein Arzt und ein pensionierter Ingenieur. Die meisten fahren einzelne Etappen mit, einige aber auch die ganze Reise.
Für die Pädagogen ist diese Reise eine ebenso große Herausforderung wie für die Schüler. Torsten Petersen, 35 Jahre, kennt das Projekt schon länger. Er freut sich, dass es jetzt in seinen Zeitplan passt. Der Referendar unterrichtet Biologie und Erdkunde. Er sagt: Das Projekt bietet die einmalige Chance, auf bestimmte Themen ganz anders als sonst einzugehen. Es ist der Lebens- raum Meer da. Wir werden mit verschiedenen Meeresströmungen konfrontiert sein. An Land werden wir verschiedene Staaten und Kulturen kennen lernen. Tina Rüdel, 30 Jahre, ist Diplombiologin und während des Studiums schon viel unterwegs gewesen. Sie meint: Ich finde es extrem spannend, auf dem Meer oder im Regenwald Unterricht zu geben. Am Samstag, dem 24. Oktober, ist es endlich so weit. Unter vollen Segeln verlässt die Thor Heyerdahl den Hafen von Kiel. Nicht nur der Himmel weint an diesem Tag. Die Tränen in den Gesichtern einiger Eltern und Freunde an Land kann man wegen des Regens nicht so genau erkennen. Doch an Bord fallen sie auf. Schülerin Tini schreibt ins Schiffstagebuch: Mit Tränen in den Augen winkten wir noch ein letztes Mal und stellten fest, dass auch die sonst so harten Jungs mal weinen müssen! Eine Menge Fragen gehen allen durch den Kopf: Wie wird die Reise verlaufen? Welche Erlebnisse werden wir haben? Und vor allem: Werden alle gesund wiederkommen? Davon berichtet JUMA in der nächsten Ausgabe. Worterklärungen 1 Pier - Anlegestelle für Schiffe 2 Thor Heyerdahl - norwegischer Wissenschaftler und Abenteurer (1914-2002) 3 High Seas High School - (engl.) Hochsee-Gymnasium 4 Messe - Speise- und Aufenthaltsraum auf Schiffen 5 Privatsphäre - ganz persönlicher Bereich 6 Probetörn - Probefahrt eines Schiffes
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