JUMA 4/2004 Seite 36-37

 
Heines Wurzeln
Immmer wieder interpretieren Musiker Texte, Lieder und Gedichte von bekannten Schriftstellern. JUMA stellt einige deutsche Künstler vor, die Literatur und Pop zusammengebracht haben.
Achim Reichel
Achim Reichel gilt als Urvater der deutschen Rockmusik. Seine Karriere begann in den 60-er Jahren. 1976 erscheint sein erstes Solo-Album, das "Shanty"-Album. Darauf beschäftigt er sich mit der Folklore fahrender Seeleute. 1978 veröffentlicht Reichel das Album "Regenballade", auf der er Texte von Fontane, Liliencron, Arno Holz und Goethe mit musikalischem Leben füllt. Er arbeitet mit den Schriftstellern Peter Paul Zahl und Kiev Stingl zusammen. Sein Album "Entspann’ Dich" enthält einen Song mit Text von Erich Kästner, ein Lied von Robert Stolz. Auf der CD "Wilder Wassermann - Balladen und Mythen" vertont Achim Reichel Gedichte von Goethe, Mörike und Heinrich Heine. Die Texte stammen fast durchweg aus dem 19. Jahrhundert. Darin sieht Reichel Parallelen zu seinem eigenen Schaffen. Auch Goethe, Storm und besonders der von den Nazis verfemte Heinrich Heine plagten sich mit demselben Problem ab: Eine deutsche Identität zu finden, die frei ist und ihre Wurzeln sucht.
Erlkönig und Techno Beats
Jo van Nelsen
Jo van Nelsen arbeitet als Kabarettist und Theaterregisseur. Vor einigen Jahren hatte er mit der Formation Hypnotic Grooves einen Hit. Er sprach das Gedicht "Der Erlkönig" von Goethe zur Musik der Hypnotic Grooves. Vorher war er schon mit der Gruppe Culture Beat und dem Gedicht "Der Erdbeermund" von Francois Villon in den Charts. Im Interview mit dem JUMA erzählt Jo van Nelsen, wie es zur Verbindung von Literatur und Musik kam.
JUMA: Wie wird aus einem Kabarettisten ein Sänger?
Jo: Ich bin zu der Produktion mit Culture Beat gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Ich habe in der Schule in Bad Homburg Kabarett gemacht. Mein Schulfreund Alexander hat bei einem Musikproduzenten gearbeitet, der Villons "Erdbeermund" in der Version des Schauspielers Klaus Kinski mit Techno-Beats zusammengemischt hat. Dann haben Sie mich gefragt, ob ich den Text sprechen könnte. Ich hatte gerade Abitur gemacht. Zunächst dachte ich, es wird bestimmt kein Erfolg. Nach ein paar Monaten rief der Produzent an, einige Plattenfirmen hätten Interesse. Aber nur, wenn sie auch einen Live-Act mit anbieten können. Dann ging das los mit Culture Beat.
JUMA: Dann habt ihr weitere Stücke produziert?
Jo: Ich wollte nicht in die Popwelt, sondern Chanson-Abende machen und schauspielern. Ich hatte von Ludwig Uhland "Das Schloss am Meer" rausgesucht und wollte es vertonen. Denn zu der Zeit hat das Publikum die Kombination aus Lyrik und Pop gemocht. Aber der Produzent hat nicht mitgespielt. Ansonsten bin ich dann noch durch die Diskos getingelt.
JUMA: Aber ein Hit ist doch noch gelungen?
Jo: 1999 kam noch die Formation Hypnotic Grooves, bei der ich mitgewirkt habe. Aber da war der Zug abgefahren. Den Erlkönig von Goethe haben wir für den Sampler "Rosebud Red" aufgenommen, aber es war kein Erfolg.
JUMA: Was machst du heute?
Jo: Kabarett und Theater.
Comeback mit Nietzsche
Joachim Witt
Joachim Witt, in Hamburg geboren, begann nach der Schule eine Lehre als Fotograf. Er besuchte außerdem die Schauspielschule und war Mitglied einer freien Theatergruppe, bevor er seine erste Band gründete. Bekannt wurde Joachim Witt durch seine Solokarriere in den 80-er Jahren. Mit den Platten "Silberblick" und "Goldener Reiter" gelang ihm der Einstieg in die Hitparade. Seine Lieder mit deutschen Texten gehören zu den Hymnen der Neuen Deutschen Welle - einem Musikstil, der in den 80-ern für ungeheuren Elan und stimmungsvollen Parties unter den Jugendlichen sorgte. Dann wurde es ruhig um Joachim Witt. Erst 1998 gelang ihm ein Comeback. Witt vertonte für den Poesie-Sampler das Gedicht "Jetzt und ehedem" des Philosophen Friedrich Nietzsche.
Rilke als Pop
Xavier Naidoo
Xavier Naidoo wurde in Mannheim geboren, wo er noch heute lebt. Selbstironisch nannte er sich einmal einen "Neger aus Kurpfalz". Seine Mutter ist irischer Abstammung und in Südafrika geboren. Sein Vater stammt ebenfalls aus Südafrika. Er hat indische und deutsche Vorfahren. Vor seiner steilen Karriere als Sänger hat Xavier Naidoo als Kochlehrling, Verkäufer, Türsteher einer Disko, Jingle-Sänger und Musical-Interpret gearbeitet. Sein Talent und seine gute Stimme blieben nicht unentdeckt. Aus seiner Beschäftigung als Background-Sänger entwickelte sich bald eine Solo-Karriere. Naidoo ist ein religiöser, christlicher Mensch. Das äußert sich auch in seinen eigenen Texten.
Gemeinsam mit anderen prominenten Musikern und Schauspielern hat er an der Produktion einer CD mit Texten von Rainer Maria Rilke mitgewirkt. 2001 hatte das Rilke-Projekt in München Premiere. Promis, Pop und Poesie - das schien gewagt. Dann wurden 135 000 CDs verkauft: Experiment geglückt! Und die CD kam sogar in die Charts.
Goethe a capella
Die Prinzen
Ihre Karriere begann nach der DDR-Zeit: Die Prinzen kamen als eine der ersten ostdeutschen Popgruppen in die gesamtdeutschen Hitlisten. Die fünf Musiker aus Leipzig waren als Schuljungen bereits auf Tournee im Westen - mit dem weltberühmten Thomaner-Chor. Dann gründeten Sebastian Krumbiegel und Wolfgang Lenk das Gesangsensemble Phönix, Tobias Künzel die Rockband Rockpol. 1987 wurde aus Phönix die Gruppe Herzbuben. Daraus entstanden die Prinzen. Die Karriere gelang mit A-cappella-Gesängen und frechen, doppeldeutigen Texten. Wie die Prinzen zur Vertonung von Klassikern stehen, erzählen sie im Juma-Interview.
JUMA: Warum habt ihr ein Stück von Goethe vertont?
Prinzen: Wir haben uns fürs Heidenröslein entschieden, weil wir das in der Schule sehr oft gesungen haben. Wir alle waren im Thomaner-Chor, der einst von Bach geleitet wurde; bis auf Jens, der war im Kreuzchor. Aber dort hat er auch das Heidenröslein gesungen. Die Musik ist von Wolfgang Lenk bearbeitet, aber der Text ist geblieben.
JUMA: Welche Klassiker singt ihr außerdem?
Prinzen: Wir haben ein romantisches Lied aus dem 19. Jahrhundert im Programm, "Die Träne". Und wenn es gewünscht wird, singen wir auch mal von Mozart "Brüder, reicht die Hand zum Bunde". Wir greifen auf solche Sachen gerne zurück, dann allerdings im Original, unbearbeitet.
JUMA: Ist das dann spaßig oder ehrfürchtig gemeint, als Verbeugung vor den großen Meistern?
Prinzen: Wir achten schon immer darauf, dass es gut klingt. Auf unserer letzten Tour sind wir in die Halle gegangen, unter die Leute, und haben im Publikum a capella gesungen. Beim letzten Stück haben wir gesagt: "Setzt euch mal hin und seid still! Es wird kein Bier mehr geholt, jetzt legen wir das Mikrofon weg und singen ohne Verstärkung." Daraufhin war es still im Saal. Dann haben wir ein Stück von Mozart angesagt und es ging ein Raunen durch den Saal. Als wir fertig waren, war eine Begeisterung im Saal, dass man merkte, die Musik hat was. Man muss nur den richtigen Zugang dazu öffnen. Wir würden uns nie hinstellen und Klassiker verunglimpfen oder veralbern.