JUMA 4/2004 Seite 28-30

  Stars aus Plastik
Seit fast 100 Jahren entstehen in Köln Puppen für die Schaufenster in aller Welt

Jugendliches Aussehen war nicht immer gefragt. Schaufensterpuppen haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert.
Arme und Beine liegen überall auf dem Boden. Köpfe mit schönen Gesichtern stehen nebeneinander im Regal. Sie blicken den Besucher stumm an. Alles wirkt friedlich. Wir sind in einer fremden und faszinierenden Welt - im Inneren der ältesten Schaufensterpuppen-Fabrik von Europa. Ein kleiner, freundlicher Mann namens Dr. Josef Moch ist hier der Chef. Sein Großvater hat das Kölner Unternehmen im Jahr 1907 gegründet. "Er war ein Tüftler", sagt sein Enkel stolz. In einem kleinen Atelier fertigte er die ersten Modepuppen aus Gips und Wachs.
Heute sind die Figuren aus Kunststoff. Dr. Moch lässt sie bei großen Aufträgen in Asien herstellen. Das ist preiswerter.
Doch die kreativen Köpfe sind in der kleinen Kölner Fabrik zu Hause. Hier entwerfen die Mitarbeiter neue Schaufensterpuppen. Sie bauen auch erste Modelle. Das geschieht in der Werkstatt im Keller. Es riecht nach Farbe. Frisch lackierte Arme und Beine hängen zum Trocknen an der Decke. In einer Ecke stehen perfekte Körper ohne Köpfe. Doch es gibt auch echte Menschen hier: An einem großen Tisch arbeitet der irakische Bildhauer Twana Kushnau. Er hat einen Männerkopf aus Lehm in der Hand. "Ich modelliere ihm eine neue Frisur", erklärt er. "Er soll jung und sportlich aussehen." Ein moderner Typ also.

Der Bildhauer Twana Kushnau arbeitet an einem Männerkopf, der eine neue Frisur bekommt.
Jugendliches Aussehen war nicht immer gefragt. Schaufensterpuppen haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Ihr Aussehen wechselt nämlich wie die Mode. Oft sahen die Schaufensterpuppen Prominenten ähnlich. In den 30-er Jahren zum Beispiel der berühmten Schauspielerin Greta Garbo. In den 50-er Jahren war die französische Schauspielerin Brigitte Bardot ein Vorbild. Und natürlich Elvis Presley, der "König des Rock’n’Roll". Andere Figuren sahen damals wie Comicfiguren aus und waren auch dicker. Denn wenige Jahre nach dem Krieg herrschte in Deutschland das "Wirtschaftswunder". Den Menschen ging es gut, sie hatten Geld und aßen viel. Der "Wohlstandsbauch" war modern. In den 60-er Jahren waren die Puppen wieder schlanker und ähnelten dem berühmten dünnen Fotomodell Twiggy. Später wurden die Figuren wilder: Ihre Gesichter sahen lang und schmal aus. In den 80-er Jahren ähnelten die Puppen den arroganten Figuren der bekannten Fernsehserie "Denver-Clan" aus den USA. Zehn Jahre später wirkten sie viel netter und natürlicher - wie zum Beispiel die französische Schauspielerin Juliette Binoche.

Heute wünschen viele Kunden hübsche Jungs: flotte Typen wie zum Beispiel Pop- und Rockmusiker. Firmenchef Dr. Moch nennt sie die "süßlichen Knaben". Ihre weiblichen "Partnerfiguren" blicken frech und arrogant. Die jungen Frauen- und Männerpuppen tragen oft knallbunte Haare: in Blau oder Orange. Und es gibt noch eine Modewelle. Immer mehr Geschäfte und Kaufhäuser wollen die Figuren ohne Köpfe kaufen. Das ist angeblich "cool". Dr. Moch hat darum im Moment einige Köpfe übrig ...

Das Kölner Unternehmen verkauft jährlich 4 000 Puppen weltweit. Die Figuren stehen nicht nur in Bekleidungsgeschäften. Auch Film und Theater benötigen ab und zu welche. Ein Museum hat ebenfalls schon Puppen bestellt. Aber nicht mit schönen roten Lippen und rosa Wangen, sondern mit Blutergüssen und blauen Flecken. Sie waren für ein Foltermuseum. Dr. Mochs Mitarbeiterin Joanna Urbanowicz hat die Figuren von Hand lackiert - und sich über diese gruselige Abwechslung sehr gefreut: "Endlich mal nichts Schönes!"

Annette Zellner