JUMA 4/2004 Seite 22-24

  Heißes Eisen
Eine ostdeutsche Gießerei setzt auf Azubis

Die Azubis lernen, wie man mit flüssigem Metall umgeht. Bei einigen Arbeiten reichen Handschuhe. Sven muss manchmal einen Schutzanzug gegen die große Hitze tragen
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Über der Eisenpfanne flimmert die Luft. Glühende Schmelze rinnt in Formen aus gestampftem Sand. Funken sprühen, Schläuche zischen und Maschinen kreischen. Langsam schiebt sich der Deckel vom Ofen: gold-rotes Roheisen in flüssigem Zustand. Als wäre dies der Eingang zur Hölle. "Mein Traumjob“, sagt Azubi (1) Sven, 20 Jahre. Er steht am Monitor und kontrolliert Zahlen. Der Computer meldet die Temperatur der Schmelze. Sven zieht einen silbernen Feuerschutzmantel an. Dann setzt er den Helm mit Gesichtsvisier auf. Er taucht einen Temperaturmesser in das glühende Metall. "Die besten Jobs sind hier in der Gießerei. Am liebsten bin ich immer schön nah am heißen Eisen.“
Bei "Duktil Guss“ in Fürstenwalde arbeiten auffällig viele Azubis. "Ich bin heute der Probenläufer“, ruft Christian, 21 Jahre. Mit einer Kelle schöpft er ein bisschen glühendes Eisen aus der Pfanne. Die 1 500 Grad heiße Schmelze füllt er in einen kleinen Behälter. Anschließend wird die Probe chemisch analysiert.
2000 hat Christian hier als Aushilfe angefangen. Ein Jahr später begann seine Lehre als Gießereimechaniker. "Lärm, Hitze und Schichtarbeit - daran habe ich mich längst gewöhnt“, schreit Christian. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn. "Wie Gusseisen entsteht, hat mich schon immer interessiert.“ Von den heute 180 Beschäftigten bei "Duktil Guss“ sind durchschnittlich 16 Azubis: angehende Industriekaufleute, Modellbauer, Werkstoffprüfer und vor allem Gießereimechaniker. Eine stattliche Quote von 9 Prozent.

In einer Gießerei gibt es verschiedene Berufe. Ältere Kollegen leiten die Azubis an. Der Betrieb arbeitet in drei Schichten. Die Produkte sind für die Fahrzeugindustrie und für die Bahn bestimmt.
Die Chefin hilft bei Problemen

Das ist nicht die einzige Besonderheit bei "Duktil Guss“. Eine Frau führt den Betrieb. Eine Ausnahme in dieser eisenharten Branche. Gegen Ende der DDR war der "Volkseigene Betrieb“ ziemlich marode. Marianne Gerwin, 52 Jahre, hat ihn mit Fachwissen und Fingerspitzengefühl in ein blühendes Unternehmen verwandelt. Die Firma produziert heute Gussteile für Lkw, Traktoren oder die Deutsche Bahn.
Christian drückt seine grünen Ohrstöpsel tiefer. Dann packt er sich einen Druckschlauch und reinigt mit fauchender Luft die Gießstrecke. "Schon ein Sandkorn an der falschen Stelle kann die Produktion stören.“ Anfang 2005 will er seine Gesellenprüfung machen. "Die Ausbildung hier ist erste Sahne (2). Und die Gerwin ist eine tolle Frau. Die kümmert sich um jeden und hilft bei Problemen.“ Die Diplom-Ingenieurin sitzt in einem Büro mit hellen Holzmöbeln. "Ich habe Vertrauen zu meinen Mitarbeitern, sonst können sie sich nicht entwickeln“, sagt die blonde Frau. Ihr Konzept bringt Gewinn. Seit 1995 wächst der Betrieb und bildet erfolgreich aus. Marianne Gerwin erhält inzwischen mindestens 30 Bewerbungen auf eine freie Lehrstelle. Die Anfragen kommen aus dem gesamten Dreieck zwischen Dresden, Berlin und Frankfurt an der Oder.
"Bevor wir Azubis einstellen, müssen sie zwei Wochen Berufspraktikum bei uns machen“, erzählt Produktions- und Ausbildungsleiter Reinhard Rummert, 55 Jahre. "Wie sie sich bei der Arbeit bewähren, ist noch wichtiger als ihre Zensuren.“ Nach der Wende gab es im Osten einen Mangel an Fachkräften. Viele sind in den Westen gegangen. "Deswegen haben wir selbst neue ausgebildet.“

Für viele Azubis eine Herausforderung

Die "Duktil Guss“ hat keine eigene Lehrwerkstatt. Sie schickt ihre Azubis die ersten sechs Lehrmonate zu einem Ausbildungsinstitut in Fürstenwalde. Dort erhalten die Jugendlichen die Grundkenntnisse in ihren Berufen. Die Fachausbildung bekommen sie direkt im Werk. Als Ergebnis hat der Betrieb "maßgeschneiderte“ Facharbeiter. "Motivation haben unsere Azubis schon nach dem ersten Gespräch. Wir sagen denen: Wir bilden dich aus, weil wir dich als Facharbeiter einstellen wollen“, erzählt Reinhard Rummert. Der bärtige Produktionsleiter in dem blauen Kittel ergänzt: "Die Gießerei muss einen faszinieren, der Umgang mit flüssigem Eisen. Die jungen Kerle müssen hier ihren Mann stehen. Das ist für viele eine Herausforderung.“ 120 Leute arbeiten inzwischen in der Produktion, darunter neun Azubis.
Es ist Mitternacht. In der Gießerei wird der Ofendeckel zur Seite geschoben. Der Eingang zur Hölle öffnet sich wieder. Für Sven ein himmlischer Augenblick. Ab 16 Jahren dürfen Azubis in der Nachtschicht arbeiten. "Ohne die könnte unser Laden gar nicht in drei Schichten arbeiten“, sagt die Jugendvertreterin Annett Basner.
Sven und Christian haben gute Chancen, dass sie nach ihrer Ausbildung übernommen werden. Bisher hat die "Duktil Guss“ sämtliche Azubis eingestellt.
Werner Paczian

1 Azubi - (Abk.) Auszubildender
2 erste Sahne (ugs.) von bester Qualität