JUMA 2/2004 Seite 19

  30 Jahre JUMA
  Novemberkinder

Sie nennen sich Novemberkinder, weil sie in diesem Monat geboren wurden. Und zwar alle am selben Tag - am 9. November 1989, dem Tag, als in Berlin die Mauer fiel.

”So richtig kann man sich nicht vorstellen, dass Berlin einmal geteilt war“, meint Nikolas (rechts).
Auch Shila, Miriam und Caroline (von links nach rechts) merken oft nur an Gesprächen älterer Leute, dass die Erinnerung daran noch nicht verschwunden ist.
83 Jungen und Mädchen kamen an diesem Tag in Berlin zur Welt. Alle treffen sich seitdem jedes Jahr im November. Vorausgesetzt, sie haben Zeit dazu. Denn etliche wohnen gar nicht mehr in Berlin. Sie leben mittlerweile quer übers Land verteilt, in Bayern, Sachsen oder Mecklenburg-Vorpommern. Ein Autokonzern hat die Patenschaft für die Novemberkinder übernommen und veranstaltet jedes Jahr eine große Geburtstagsparty. Mal treffen sie sich in einem Erlebnisschwimmbad, mal zum Klettern in einem künstlichen Gebirge in einer Halle. Oder sie werden vom Regierenden Bürgermeister eingeladen.
Caroline, Nicolas, Miriam und Shila wohnen immer noch in Berlin. Sie kommen aus ganz unterschiedlichen Stadtteilen. Drei leben in Buckow, Heiligensee oder Rosenthal. Das sind ländliche Gebiete im Norden und Süden Berlins mit Ein- und Zweifamilienhäusern und Bäumen und Wiesen in der Umgebung. Shila lebt in Neukölln, einem Stadtteil mit fünfstöckigen, mehr als 100 Jahre alten Gebäuden, vielen Menschen und vielen Autos.
In die Innenstadt, dort wo die meisten Touristen hinreisen, und auch in die anderen Berliner Stadtteile kommen die Jugendlichen selten. Ihre Freundinnen und Freunde wohnen in der Nähe. Mit ihnen feiern sie jedes Jahr ganz normal ihren Geburtstag, wie alle anderen aus ihrer Klasse auch. Nur bei den gemeinsamen Feiern der ”Novemberkinder“ einige Tage später merken sie, dass ihr Geburtstag doch an einem besonderen Tag liegt.

Kein Ossi oder Wessi

”Ich mache mir manchmal Gedanken, was ich jetzt bin: Ossi oder Wessi. Denn ich bin ja eigentlich keins von beiden. Die Mauer fiel ja, als ich geboren wurde“, sagt Caroline. Sie lebt im Ostteil der Stadt, doch mit den Begriffen ”Ossi“ oder ”Wessi“ kann sie wenig anfangen. Für sie ist das nicht wichtig. Ihre Eltern sprechen immer noch über Unterschiede zwischen Westen und Osten, gegenseitige Vorurteile, unterschiedlich hohe Gehälter und das Leben vor dem 9. November 1989 in einer Stadt, die 28 Jahre durch eine Mauer getrennt war.
Meistens sind es ältere Leute, die die Novemberkinder auf ihr Geburtsdatum ansprechen. ”Den meisten jüngeren fällt dazu gar nichts ein“, sagt Carolin. ”Einige überlegen: Da war doch was! Fasching? Nein, Mauerfall!“, ergänzt Miriam. Sie musste in der Schule zu dem Thema 9. November 1989 mal einen Vortrag halten und konnte dazu gleich ganz stolz ein Autogramm des Bürgermeisterrs zeigen, der die Novemberkinder zu ihrem zehnten Geburtstag eingeladen hatte. ”Wenn ich im Fernsehen Bilder vom Mauerfall sehe, finde ich das faszinierend, dass diese Trennung von Ost und West endete“, sagt Shira. ”Für viele Leute war das sicherlich ein toller Augenblick. Vor allem für die, die Verwandte in den anderen Stadtteilen hatten.“
”Wenn ich Berichte sehe, dann überlege ich immer und sage: Genau an dem Tag bin ich geboren! Und
dann gucke ich nochmal genauer hin und überlege halt so, wie das wäre, wenn die Mauer nicht gefallen wäre“, ergänzt Miriam. ”So richtig vorstellen kann man sich das gar nicht, dass Berlin geteilt war“, sagt Nicolas ”Heutzutage gibt es so viele Leute, die ständig von Ost nach West
fahren ...“
Ein paar mehr Gedanken als ihre Klassenkameraden machen sich die Novemberkinder vielleicht schon zum Thema ”Mauerfall“. Ansonsten tun sie das, was alle gerne machen, egal ob im Osten, Westen, Norden oder Süden von Berlin: In Einkaufspassagen bummeln und ”shoppen“ gehen. Oder sich dort einfach nur mit Freundinnen und Freunden treffen, um mit ihnen zu quatschen. Ein Leben in der deutschen Gegenwart.