JUMA 2/2004 Seite 30-33
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Freiwilliges Jahr in der Denkmalpflege Schuften und lernen Heute ist die Arbeit besonders hart. 30 Grad ist es heiß; es weht kaum ein erfrischendes Lüftchen (1). Nicole Rosentreter stöhnt. Trotzdem schippt die 20-Jährige weiter. Schaufel für Schaufel lädt sie staubigen Schutt in eine verbeulte Schubkarre. Die karrt ihr Chef weg, aus dem Hinterhof heraus auf die schmale Straße. Dort kippt er den Schutt in einen Container. Ab und zu hackt er ein Stück der alten Mauer auf, damit Nicole wieder etwas zu schippen hat. Irgendwann ist auch das kleine Vorderhaus dran. Die Besitzer haben die Firma von Nicoles Chef beauftragt, in der engen Quedlinburger Altstadtgasse ein neues Fachwerkhaus aus alten Baustoffen wie Lehm und Holz aufzustellen. Nicoles Arbeit ist nicht immer so anstrengend. Manchmal helfe ich auch im Büro und stelle Preislisten zusammen, erzählt sie. Besonders interessant, erinnert sich Nicole, war die Arbeit in einer alten Kirche: Da haben wir die Jahrhunderte alte Lehmputzdecke erneuert. Spannender als ein Abriss ist das auf jeden Fall. Rund 1 500 Fachwerkhäuser gibt es alleine in der Innenstadt von Quedlinburg; die meisten sind etliche hundert Jahre alt. Viele müssen dringend renoviert werden. Nicole ist eine von 25 Freiwilligen, die dabei helfen. Nach dem Abitur wusste ich nicht genau, was ich studieren sollte, sagt die junge Frau. Für ein Jahr hat sie auf Bauernhöfen in Italien gearbeitet; dann ist sie nach Deutschland zurückgekommen und hat sich für ein Freiwilliges Jahr in der Denkmalpflege gemeldet. Mittlerweile steht für sie fest: Studieren will sie nicht mehr, sondern eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf machen. Auch andere Denkmalschutz-Freiwillige nutzen die Zeit, um sich über ihre Berufswünsche im Klaren zu werden. Ich wollte was mit Denkmalpflege machen, sagt die 20-jährige Ulrike. Sie hat mit Christiane, ihrer Kollegin, Weidenholz geflochten und die Geflechte dann zwischen die Holzverstrebungen eines alten Fachwerkhauses geknüpft. Jetzt rühren Ulrike und Christiane Wasser mit Lehm, Sand und Stroh zu einem Gemisch zusammen. Sie werfen die Masse dann Hand für Hand gegen das Weidengeflecht. Christiane und Ulrike arbeiten in einem alten Haus, das komplett renoviert wird. Die Außenwände und das Dach stehen bereits, nun werden die Innenwände in Fachwerk und Lehmbauweise eingezogen. Die Decken werden ebenfalls mit einem Lehm- gemisch verstärkt. Das Haus gehört der Stiftung Denkmalschutz, die dort ein Gästehaus einrichten will. An verschieden Orten in Deutschland bietet die Stiftung das Freiwillige Jahr in der Denkmalpflege an. Dabei wird allerdings nicht immer so hart geschuftet, wie es auf den Quedlinburger Denkmalbaustellen manchmal nötig ist. Mehrere Monate sind ausgefüllt mit Seminaren - beispielsweise Kurse über die Baustile der verschiedenen Epochen, über Umweltthemen oder auch über Politik. Für den 17-jährigen Andreas und den 18-jährigen Alexander kam ein solches Freiwilligenjahr wie gerufen (2). Sie stammen beide aus Sachsen-Anhalt und hatten keine Lehrstelle bekommen. Dann entschieden sie sich für die Arbeit im Denkmalschutz im nahen Quedlinburg. Dieses Engagement war ein wichtiges Argument bei den neuen Bewerbungen, die sie losgeschickt haben: Andreas hat jetzt einen Ausbildungsvertrag als Zimmermann in der Tasche, Alexander wird Tischler. Während des Freiwilligen Jahres haben sie schließlich bewiesen, dass sie handwerklich begabt sind und mit Werkzeugen umgehen können, auch wenn es am Anfang schwierig war: Ich musste viel üben, um schließlich den Mörtel mit der Kelle an die Wand werfen zu können. Zuerst ist das meiste auf dem Boden gelandet, erinnert sich Andreas. Sein Tipp für andere Denkmalschutz-Freiwillige: Wer das macht, sollte keine Angst vor Dreck haben. Und sich nicht vor harter Arbeit scheuen: Man kommt schnell an seine körperlichen Grenzen, meinen Alexander und Christiane. Kathrin und Olivia sind im Quedlinburger Amt für Bodendenkmalpflege eingesetzt. Zehn Kilometer entfernt von der Stadt haben wir in den ersten Wochen unseres Freiwilligen Jahres jeden Tag die Erde mit der Spitzkelle durchforstet (3), erinnern sie sich. Auch bei schlechtem Wetter mussten sie bei der Ausgrabungsstelle sein. Davon gibt es in der Region viele. Jedes Mal, wenn Häuser oder Straßen neu gebaut werden, finden die Arbeiter beim Ausschachten alte Scherben. Dann kommen Mitarbeiter des Amtes für Bodendenkmalpflege mit Kathrin und Olivia. Sie schauen, ob wertvolle Fundstücke darunter sind. Scherben waschen, sortieren, listen, das gehört zu ihren Hauptaufgaben. Allerdings können sie viel im Keller der Behörde erledigen. Das machen sie, wenn gerade mal keine aktuellen Ausgrabungen anstehen, beispielsweise im Winter, wenn der Boden gefroren ist. Bei einem spannenden Fund waren sie noch nicht dabei: In der Nähe wurde die bislang älteste Knochenzahnbürste Deutschlands gefunden, erzählt Kathrin. Doch sie war gerade auf einem Seminar für freiwillige Denkmalschützer. Als ich zurückkam, habe ich aber die Zahnbürste mal in die Hand genommen. Klaus Martin Höfer 1 es weht kaum ein Lüftchen - es ist fast windstill 2 etwas kommt wie gerufen - etwas kommt im richtigen Moment 3 durchforsten - durchsuchen |
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