JUMA 3/2003 Seiten 30-32

Jugendliche in Solingen:

"Wir machen was los!"

18, die Vorsitzende vom JSR, ist mit einer Stimme stimmberechtigt im Jugend- hilfe
Solingen ist eine Stadt im Bergischen Land in der Nachbarschaft mehrerer Großstädte. In Solingen selbst ist nicht sehr viel los: Die Jugendlichen hier wissen meistens nicht, wo sie sich treffen sollen. Köln, Düsseldorf und Wuppertal locken mit attraktiven Angeboten. Darum fahren sie am liebsten dorthin. Doch seit ein paar Jahren haben die Solinger Jugendlichen die Möglichkeit, für ihre eigene Stadt etwas zu tun: Den Jugendstadtrat (JSR).

Lea, 18, ist eine der ”Abgeordneten”, die für zwei Jahre gewählt wurden. Sie engagiert sich in der Projektgruppe ”Aktionen”: ”Wir müssen nicht auswandern! Wir haben gezeigt, dass wir Jugendlichen etwas bewirken können !” Genau das haben sie und die anderen Mitglieder des JSR getan: Sie organisierten zum ersten Mal ein Jugendkulturfest in der Bahnhofshalle. Es wurde ein voller Erfolg: Konzerte, Workshops, Tanz, Sport und Theater fanden mitten in der alten Kuppel des denkmalgeschützten Gebäudes und auf dem Platz davor statt. Zwei Tage lang war der Bahnhof mit buntem Leben gefüllt.
Der Jugendstadtrat mischt sich auch auf den Sitzungen des Erwachsenen-Stadtrats ein. Manchmal ist viel Durchhaltevermögen gefragt. Tayna, 18, die Vorsitzende vom JSR, ist mit einer Stimme stimmberechtigt im Jugendhilfe-Ausschuss1. Sie erklärte bei einer Sitzung ganz offiziell mit Mikrofon: ”Wir Jugendlichen sind die Zukunft und die Wähler von morgen. Also helft uns, unsere Belange durchzusetzen. Die Skaterhalle im alten Mühlenhofkino muss jetzt her!” Für ihre Rede bekam Tayna viel Applaus.

Aktien für die Skaterhalle

Die Skaterhalle ist das größte Projekt, für das die Solinger Jugend kämpft: Ein altes Kino soll zu einer Trendsporthalle mit angeschlossenem Café und einem Skater-Shop umgebaut werden - alles nur für junge Leute! Günstig ist der schräge Boden des ehemaligen Kinos: So können Skater und BMX-Radfahrer Schwung holen und die relativ kleine Halle reicht für mehrere Sprungschanzen aus. Der Eintrittspreis und die Preise für Cola und Kaffee sollen niedrig sein. Doch obwohl viele Erwachsene die Idee gut finden, muss der JSR viele Hürden überwinden.
Hauptproblem: Wer soll den Umbau bezahlen? 3 000 Jugendliche demonstrierten, um Zuschüsse für die Halle zu fordern und Sponsoren auf das Projekt aufmerksam zu machen. Dann verkaufte der JSR Aktien an Geschäfte, Unternehmen und Einzelpersonen. Damit konnte man einen Teil der Halle erwerben. Jetzt können die Umbauarbeiten endlich beginnen. Lea und Tayna werden die Eröffnung allerdings nicht mehr als Mitglieder des JSR mitbekommen: Weil sie bereits 18 sind, können sie nicht mehr kandidieren.

Gute Ideen verwirklichen

Alle zwei Jahre bekommen die Solinger Schüler zwischen 14 und 17 Jahren einen Stimmzettel: Sie dürfen ihre neuen Kandidaten wählen. Auch sie selbst können sich zur Wahl aufstellen. Dafür müssen sie sich anmelden und einmal in die Geschäftsstelle kommen. Hier werden sie fotografiert und dürfen einen Wahlspruch nennen. Zusammen mit ihrem Namen entsteht dann ein eigenes Wahlplakat. Wie bei den erwachsenen Politikern müssen sie für sich selbst Werbung machen.
Stefan, 15, ist einer von den neuen Kandidaten: ”Ich möchte beim Jugendstadtrat mitmachen, weil ich es gut finde, dass man seine Meinung öffentlich sagen und etwas bewegen kann. Die Jugendlichen sollen nicht mehr auf der Straße rumhängen müssen. Mein Wahlspruch heißt: Fördert den Jugendsport!” Michael, 17, lässt sich aufstellen, weil er findet, dass noch mehr für die Jugend getan werden muss. Er hat sich ein ganzes Gedicht ausgedacht, das auf sein Wahlplakat kommen soll: ”Ich bin kein Daniel Lopez(2) und ich bin auch kein Star, mit mir im Jugendstadtrat, wird Solingen wunderbar”. Aleksandra, 17, bewirbt sich beim JSR, weil sie meint: ”Ich habe gute Ideen und denke, dass ich da mithelfen kann.” Anna, 14, möchte mithelfen, die guten Ideen der anderen zu verwirklichen.
60 Kandidaten bewerben sich um 30 Plätze. Die Gewinner bilden den neuen Jugendstadtrat. Einmal im Monat findet eine Sitzung statt. Hier sprechen die Jugendlichen über einzelne Aktionen und Projekte. Das Jugendkulturfest soll jetzt jedes Jahr stattfinden. In einer regelmäßigen Radiosendung informieren sie über die neuesten Aktionen. Jedes Mitglied kann sich in mehreren Projektgruppen engagieren.

1 Jugendhilfe-Ausschuss - Ausschuss, in denen Bürger Mitverantwortung bei Jugendfragen übernehmen
2 Daniel Lopez - deutscher Nachwuchs-Popstar

Die Jugend bestimmt mit

In Deutschland gibt es etwa 250 Kinder- und Jugendgemeinderäte, -stadträte oder -parlamente. Im Gegensatz zu den Räten treffen Parlamente in lockerer Form zusammen und setzen sich für ein bestimmtes Thema ein. Jugendgemeinde- und -stadträte haben eine formale Struktur mit bestimmten Wahlsystemen. Diese können in den einzelnen Städten und Gemeinden unterschiedlich sein. Meistens haben alle Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren das aktive und passive Wahlrecht - auch ohne deutschen Pass. In Baden-Württemberg gibt es sogar einen Dachverband der Jugendgemeinderäte, der schon eine Gesetzesänderung für Jugendliche erwirkt hat. Bundesweit sind die Jugendräte nicht organisiert.