JUMA 4/2002

  S t u d i u m  i n  D e u t s c h l a n d

Die ersten Schritte

Wer aus einem anderen Kulturkreis nach Deutschland kommt, kann hier einige Überraschungen erleben. Darum sollte man sich vor Studienbeginn nicht nur mit der Sprache, sondern auch den Sitten vertraut machen.

Wenn Chiho und Asuka gemeinsam die Stadt erkunden, werden sie oft unaufgefordert angesprochen und bekommen Hilfe angeboten.
Heute ist ein heißer Tag. Alle Türen zu den Seminarräumen sind weit geöffnet. Deutlich hört man, wie Schüler und Lehrer sprechen. "Wo ist das Essen besser, in Deutschland oder in den USA?“, fragt Chiho aus Tokio Bill aus Detroit.
Chiho, 24 Jahre alt, besucht einen Deutschkurs im Köl-ner Carl Duisberg Centrum (CDC). Vorher hat die junge Musikerin 3 Monate am Goethe-Institut Inter Nationes in Tokio ihre ersten Deutschstunden genommen. Jetzt lernt sie gerade den Unterschied zwischen "besser als“ und "genauso gut wie“. "Das Essen in Deutschland ist genauso gut wie in den USA“, meint Bill. Im Nachbarraum geht es um ein anderes Thema. "Warum haben Deutsche viele Bekannte, aber nur wenige Freunde?“, fragen sich hier die Lernenden. Asuka, 28 Jahre alt und aus Kioto, diskutiert mit den anderen Kursteilnehmern aus den USA, Korea, China, Iran und Frankreich über die kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und ihren eigenen Heimatländern. Asuka weiß einiges über das Land, in dem sie studieren will, denn sie hat in Japan Germanistik studiert und war schon öfter in der Bundesrepublik. In Kürze will sie am Goethe-Institut Inter Nationes in Tokio ihre Sprachprüfung ablegen und im Wintersemester zum Studium nach Deutschland kommen. "Deutsche sind ein bisschen introvertiert“, findet Asuka, "aber viel offener als Japaner.“

Mit Händen und Füßen

Chiho hat im Alter von 3 Jahren mit dem Geigespielen begonnen. Nach der Schule hat sie 4 Jahre an der Hochschule für Musik in Tokio studiert. Vor 3 Jahren lernte sie bei einem Sommerkurs in Frankreich Professor Rainer Moog kennen, der in Köln Bratsche unterrichtet und ihren japanischen Leh-rer ausgebildet hat. Sie selbst spielt die Viola, wie man die Bratsche auch nennt, seit 6 Jahren.
Als ein Platz bei Professor Moog frei wurde, hat Chiho einen Antrag nach Köln geschickt. "Der ist nicht angekommen. Darum bin ich direkt nach Köln gefahren“, erzählt sie. In einem japanischem Buch hatte sie bereits Informationen über Sprachkurse bei CDC bekommen. Darum schrieb sie sich dort für einen Kurs ein. Sie bekam im CDC auch die Adresse einer Gastfamilie, die ein Zimmer für sie hatte.
Das Verstehen der deutschen Sprache ist leichter als das Sprechen, hat Chiho gemerkt. "Mit Händen und Füßen geht es“, meint sie lachend. Außerdem findet sie: "Die Deutschen sind sehr freundlich.“ Als sie am Bahnhof eine Fahrkarte kaufen wollte, haben ihr andere Reisende sofort Hilfe angeboten. "Bahn fahren in Deutschland ist sehr schön, die Züge sind nicht so voll wie die rund um Tokio.“ Außerdem lerne man in deutschen Zügen schnell Menschen kennen und komme miteinander ins Gespräch.
Was ihr noch aufgefallen ist, sind die vielen Parks und Bäume in der Stadt. Die Leute sitzen bei gutem Wetter oft in den Parks. Sie lachen und gucken freundlich, wenn man mit ihnen spricht.
Einige deutsche Sitten lernt sie auch bei ihrer Gastfamilie, dem Ehepaar Detering, kennen, zum Beispiel das Frühstück. Während man in Japan morgens Miso-Suppe, Rührei und andere warme Gerichte bekommt, gibt es bei Deterings ein typisch deutsches Frühstück: Brötchen, Marmelade, Schinken, Käse, Tee oder Kaffee, für die Kinder Orangensaft oder Milch, und am Wochenende ein gekochtes Ei.

Eine unvergessliche Zeit

Doris und Detlev Detering stellen seit einem Jahr CDC-Kurs-Teilnehmern aus dem Ausland Zimmer zur Verfügung. Ein Nachbar, der das schon länger macht, hat sie auf diese Idee gebracht. "Ich selbst war ein Jahr in Barcelona und habe bei einer Gastfamilie gelebt“, erzählt Doris Detering. Das war eine unvergessliche Zeit. Besonders von den Kindern habe sie eine Menge gelernt. Auch ihr Neffe, 16 Jahre alt, der gerade bei einer Gastfamilie in den USA war, hat gute Erfahrungen gemacht.
"Die Studenten, für die alles zunächst noch fremd ist, bekommen hier einen Ruhepunkt“, sagt die 36-jährige Hausfrau. Neuen Gästen zeigt sie zuerst Zimmer und Bad. Sie erklärt, dass alle Türen im Haus offen sind, und dass man gegenseitiges Vertrauen braucht. Dann bekommen die neuen Mitbewohner einen Hausschlüssel. "Es ist wie in einer Wohngemeinschaft.“
"Wir selbst haben die Chance, uns kulturell weiterzubilden“, sagt Detlev Detering, 46 Jahre alt und Versandleiter bei einer Brauerei, "und unsere Kinder Dominik und Dennis sehen, dass es auch andere Sprachen und Kulturen gibt. Man muss sich immer wieder auf neue Leute einstellen, das macht Spaß.“ Einmal hatten die Deterings jemanden, mit dem sie sich jeden Abend lange unterhalten haben, andere sind lieber in der Stadt. "Die private Atmosphäre wird jedenfalls nicht gestört“, sagt Detlev Detering.
Chiho verbringt die meiste Zeit mit Lernen und Üben, denn in vier Wochen muss sie eine Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule ablegen. Dazu gehören ein Sprachtest und das Vorspiel auf der Bratsche. Manchmal guckt sie abends ein bisschen Fernsehen. "Fernsehen in Japan ist viel bunter und lauter“, meint Chiho.
Bettzeit bei der Familie Detering ist zwischen 10 und 11 Uhr abends, und darauf hat sie sich auch eingestellt. "In Japan gehe ich erst um 1–2 Uhr nachts schlafen“, erzählt sie. Samstags liest Chiho den Kölner Stadtanzeiger, eine Tageszeitung, in der an diesem Tag viele Wohnungsanzeigen stehen. Denn wenn sie an der Musikhochschule angenommen wird, will Chiho ein Zimmer mieten.

Sehr, sehr viele Wörter

Ihre Mitstudentin Asuka kennt sich mit der deutschen Sprache und Kultur gut aus. Die Basis dafür haben ihre Eltern gelegt: "Bei uns zu Hause gibt es viele deutsche Bücher, denn meine Eltern sind sehr belesene Menschen.“ Daher kommt auch ihr eigenes Interesse an deutscher Kultur und Literatur. Schnell hat sie zwei riesige Buchhandlungen entdeckt. Hier sucht sie deutsche Literatur, Franz Kafka, Johann Wolfgang von Goethe und Thomas Mann beispielsweise. Oder japanische Literatur auf Deutsch. "Die deutsche Sprache ist sehr schön“, meint Asuka, "denn es gibt sehr, sehr viele Wörter.“
Fast jeden Abend geht sie ins Theater, in die Oper oder in ein Konzert. Weil normale Tickets zu teuer sind, kauft sie sich Stehplatzkarten, die sie mit dem Studentenausweis billiger bekommt. Zweimal schon war sie in "Richard der 3.“ von William Shakespeare. Sie findet das Stück sehr empfehlenswert, doch: "Ein Schauspieler steht manchmal nackt auf der Bühne. Ist das hier normal? In Japan würde er bestimmt festgenommen!“
Überhaupt: "Die Leute schämen sich weniger in Deutschland“, hat sie erfahren. In Japan putzt man sich nicht in der Öffentlichkeit die Nase, und die Kleidung der jungen Frauen in diesem Sommer – bauchfreie Hemden – ist in Asukas Augen für Japanerinnen unmöglich: "Halbnackt oder in durchsichtigen Hemden gekleidet geht man bei uns nicht auf die Straße.“

Pudding statt Universität

Was Asuka besonders beeindruckt hat, ist die Umgangssprache. Die hat sie zuerst in dem Film "Lola rennt“ kennen gelernt. "Schatz“, "echt“ und einige Schimpfwörter kommen häufig vor. Beim Einkaufen hat Asuka deutsche Supermärkte mit japanischen verglichen. "Bei uns sind die Supermärkte viel aufwändiger gestaltet!“ Deutsche Verkäuferinnen seien zwar nett, aber lächelten selten. "Doch das war früher noch schlimmer, oder?“ Was sie sehr gut findet: "Nirgendwo sonst gibt es so viele verschiedene Sorten Brot!“ Besonders das Schwarzbrot findet Asuka einmalig. Doch sei das deutsche Essen recht einfach: "In Japan kocht man dreimal am Tag!“
Merkwürdig findet sie, dass die Stadt Bielefeld, wo sie ihr Studium beginnen will, zwar eine sehr gute Universität hat, jedoch viel bekannter für den Puddinghersteller Dr. Oetker ist. Auf jeden Fall möchte sie später in Köln studieren, denn: "Hier gibt es viele Ausländer. Das macht die Stadt für mich erst richtig interessant!“
Christian Vogeler