JUMA 3/2002

  Wirtschaft als Schulfach

Börsenfieber

Eigentlich ist alles ganz lustig. Solange die Börsenkurse steigen! Doch in den letzten Jahren gerieten die Kurse in einen heftigen Abwärtstrend. Am übelsten traf es die Aktienwerte des Neuen Marktes (1). Blitzartig fielen sie in den Keller. Die Nerven der Aktionäre lagen blank. Paul, 19 Jahre, hatte Glück. "Später konnte ich meine Verluste durch andere Geschäfte wieder ausgleichen“, sagt er. Der Abiturient spekuliert an der Börse.

Sein Vater hatte ihn auf die Idee gebracht. Der war früher als Broker (2) an der Frankfurter Börse, dem wichtigsten und größten Wertpapiermarkt in Deutschland, beschäftigt.
"Bei Wirtschaftsfragen mitreden zu können ist wichtig“, findet der Abiturient. Auch wenn man nach der Schule nicht unbedingt Wirtschaft studieren will. "Jeder, der als Anwalt oder Arzt selbstständig arbeiten möchte, braucht ein bestimmtes wirtschaftliches Fachwissen“, argumentiert der Schüler. Deshalb hat Paul auch nicht lange gezögert, als er an seiner Schule an einem Wirtschaftskurs teilnehmen konn- te. Der Unterricht kam auf eine Initiative von Business@school zustande. Dieser Verein wurde von der Unternehmensberatung "The Boston Con- sulting Group“ mit dem Ziel gegründet, Schülern wirtschaftliche Grundkenntnisse praxisnah zu vermitteln. Ein Anliegen, mit dem das Unternehmen nicht allein dasteht. Um Jugendliche fit für den Arbeitsmarkt zu machen, fordern Vertreter aus Wirtschaft und Politik, Ökonomie im Unterricht stärker zu berücksichtigen. Für Bundeskanzler Gerhard Schröder gehört Wirtschaft zu den Schlüsselqualifikationen beim Berufseinstieg. Nur so werde die Jugend in Deutschland "zukunftsfähig“.
Bislang spielt das Thema an Schulen nur eine untergeordnete Rolle. Das fand eine Studie der Bertelsmann-Stiftung heraus. Ökonomische Bildung, so die Studie, wird überwiegend in Fächern wie Geschichte oder Geografie gelehrt und taucht als eigenständiges Unterrichtsfach nur in wenigen Bundesländern, wie zum Beispiel Bayern, auf. Fazit der Untersuchung: Schüler wissen und erfahren zu wenig über Wirtschaftsthemen. Begriffe aus der Finanzwelt gehören zwar schon lange zum Allgemeingut: Regel- E mäßig tauchen sie in den Nachrichten auf. Doch egal ob Nemax, Indexfond, Rendite oder Dividende (3) - für die meisten bleiben solche Ausdrücke als Fachchinesisch (4) unverständlich.
Den fehlenden Wirtschaftsunterricht und das Wissensdefizit versuchen Unternehmen in Eigenregie (5) zu überbrücken. In Kooperation mit den Schulen bieten sie Projekte mit unterschiedlichen Ansätzen an, meistens als Arbeitsgemeinschaften. Die Teilnahme daran ist freiwillig. Banken erteilen Schülern Lehrstunden in Dax und Dow (6) und machen sie fit für die Börse. Oder es wird zur Teilnahme an Internetplanspielen aufgerufen. Dort können Schüler ihren unternehmerischen Geist erproben und eine eigene Firma gründen.
Unternehmerisches Denken will auch Business@school in der dritten Phase seines Projektes fördern. Vorher haben die Teilnehmer einen Großkonzern analysiert und sich dann mit den Abläufen eines regionalen Mittelstands- oder Kleinunternehmens beschäftigt.
Paul hat diese drei Phasen erfolgreich absolviert. Mit dem Unternehmenskonzept seines Teams gewann er im letzten Jahr den bundesweiten Wettbewerb des Vereins. "Clubwatch“, so der Titel des Geschäftsmodells, will Nachtschwärmer im Internet live über Partytreffs und Lokale informieren. Dass diese Geschäftsidee trotz ihrer Realitäts- und Marktnähe nicht realisiert wurde, stört Paul nicht. Er ist überzeugt: "Der Lehrgang half mir, wirtschaftliche Zusammenhänge besser zu verstehen.“ Seit seinen Verlusten in den vergangenen Jahren ist er beim Erwerb von Aktien vorsichtiger geworden. Wenn er von der Schule nach Hause kommt, studiert er erst einmal den Finanzteil der Zeitung. Dort findet er wichtige Wirtschaftsinformationen, die er als Anleger (7) zur Bewertung einer Aktie braucht. "Wirtschaft ist ein weltbewegendes Thema“, bringt Paul seine Faszination für die Börse auf den Punkt. Denn wirtschaftliche Kompetenzen bedeuten nicht nur, den Markt besser zu verstehen. "Viele politische Probleme haben auch wirtschaftliche Ursachen“, sagt Paul.
Ob Wirtschaft jemals als eigenständiges Unterrichtsfach anerkannt wird, bleibt jedoch fraglich. Bislang lehnen Bildungsexperten eine bundesweite Ausweitung des Lehrplans ab. "Schließlich gibt es auch die Forderung nach mehr Naturwissenschaften, nach mehr IT-Kenntnissen (8), nach mehr Sport und nach mehr Religion in der Schule. Nur mehr in allen Bereichen geht nicht“, erläutert Göttrik Wewer, Staatssekretär im niedersächsischen Kultusministerium seine Ablehnung. Deshalb wird Wirtschaft als Unterrichtsfach ein Bildungsangebot für eine privilegierte Schülerschaft bleiben - für die, die eine Schule mit dem entsprechenden Angebot besuchen.
Petra Kroll

1 Neuer Markt - Abteilung der deutschen Börse, an der neue Aktien gehandelt werden
2 Broker - Aktienhändler
3 Nemax - Abk. für: Neuer-Markt-Index Indexfond - Wertpapier, dass auf den Index spekuliert
   Dividende - Gewinnauszahlung an Aktionäre Rendite - Ertrag
4 Fachchinesisch - ugs. für: Fachsprache
5 in Eigenregie - in eigener Initiative
6 Dax, Dow - Deutscher Aktienindex Index der US-Börse
7 Anleger - jemand, der in Wertpapiere investiert
8 IT - Abk. für: Informations-Technologie

Link-Tipp: www.business-at-school.de