JUMA 1/2002

 
Samstagnacht: abgefahren - nicht angekommen

Wagen schrottreif, jugendlicher Fahrer im Krankenhaus oder auf dem Friedhof. Was kann man dagegen tun? "Junge Autofahrer muss man schockieren, um ihr Leben zu retten“, meint die Polizei in Baden-Württemberg.

Was kann man tun, damit solche Bilder seltener werden? Darüber streiten sich die Experten.
Es wird schon nichts passieren

Sie wollten den Mädchen imponieren. Die hatten sie in der Disko kennen gelernt. Sie wollten ihnen zeigen, wie toll sie Auto fahren können. Und wie schnell. Und dass man den Sicherheitsgurt auf so einer wenig befahrenen Landstraße nicht braucht. "Kontrolliert sowieso keiner“, sagten sie. "Ohne Sicherheitsgurt ist Fahren viel cooler. Da legt man sich besser in die Kurven.“ Die Mädchen stiegen zu den zwei Jungen ins Auto. Obwohl sie ein mulmiges Gefühl hatten. Denn es war schon 2 Uhr nachts und es regnete ein bisschen. Die Jungen hatten in der Disko was getrunken. Aber sie waren nett und so locker. Und überhaupt: "Auf dem kurzen Stück wird schon nichts passieren.“ Das dachten die Mädchen.
Nach fünf Kilometern raste der Wagen in einer Kurve geradeaus, überschlug sich und prallte vor einen Baum. Am Baum steht jetzt ein Kreuz für Tim, 18 Jahre alt, der den Wagen fuhr. Die anderen hatten Glück und landeten "nur“ im Krankenhaus. Sie haben mit schweren Verletzungen überlebt. Ob die Mädchen noch einmal zu einem Fahrer in den Wagen steigen, der sagt, er fahre "echt cool“?

Mädchen fahren vorsichtiger

Jeden dritten schweren Unfall in Deutschland verursachen junge Fahrer zwischen 18 und 25 Jahren. Oft kracht es nachts. Nach dem Diskobesuch, nach der Fete, nach dem Kino. "Alkohol, Drogen, Selbstüberschätzung, Fahren ohne Sicherheitsgurt, uralte schnelle Autos, frisierte Mopeds (1) ... die Liste der Gründe ist lang“, sagt Helmut Pappe von der Polizeidirektion Heidenheim in Baden-Württemberg. Immer wieder wirbt die Polizei hier in Schulen, Diskos und Kinos mit Aktionen für die Verkehrssicherheit. Diesmal hat die Polizei im Kinocenter in Heidenheim ziemlich drastisch dargestellt, was passieren kann.
Am Eingang steht ein schrottreifes Unfallauto. "Die Insassen waren nicht angeschnallt. Drum herum stehen 25 Kreuze für die Unfalltoten aus den letzten drei Jahren im Kreis Heidenheim. Meistens waren es junge Leute.
Vor dem Kino ist ein Fahrsimulator aufgebaut. Im Kinofoyer gibt es Informationsplakate, einen Film über zu schnelles Fahren mit tödlichem Ausgang, Sehtest- und Reaktionstestgerät und sogar eine Ausstellung mit Drogen, die in Diskos kursieren. Die Drogen liegen sicherheitshalber in einem Glaskasten. "Hey, kann man die probieren?“, scherzen Mike, 20 Jahre, und Jochen, 17 Jahre, werden dann aber ernst. Er und sein Freund diskutieren mit dem Drogenexperten Hartmut Picha über die Gefahren von Partydrogen.
"Wir kennen viele Leute, die vor allem Ecstasy bei Popkonzerten oder in der Disko einwerfen (2). Und dann noch fahren. Ein paar fahren allerdings nicht mehr. Einer ist tot, zwei sitzen im Rollstuhl.“
Heiko und Stefan lassen ihre Augen beim Sehtest prüfen, Jost, 18 Jahre, sitzt vor dem Reaktionstestgerät, das ein Polizist erklärt und bedient. Er soll bremsen, wenn das grüne Licht verlöscht und ein rotes aufleuchtet. "Klappt ganz gut. Doch ob man auf der Straße zum Stehen kommt, ist die andere Frage. Da rechnet man im Allgemeinen nicht mit einem plötzlichen Hindernis“, meint er. Neben ihm steht ein junger Mann, der zusieht. Er will nicht mitmachen. "Habe schon etwas getrunken“, murmelt er.
Auch die Mädchen trauen sich nicht. Sie glauben, sie blamieren sich vor den Jungen. "Das ist oft so - leider“, meint Helmut Pappe. "Die Mädchen fahren oft vorsichtiger und besser. Sie sind weniger an Unfällen beteiligt. Doch bei diesen Tests hier trauen sie sich nicht zu zeigen, was sie können. Schade.“ Dafür beteiligen sich die Mädchen am Verkehrsquiz, setzen sich auf ein Sofa und beantworten Fragen zum Thema Fahren und Auto.

Heizer-Typen sind doof

Draußen haben sich einige Jugendliche um den Fahrsimulator versammelt. Hier kann man risikoreich Auto fahren, wenn man will, ohne dass etwas passiert. Alles ist wie im richtigen Auto. Es gibt Zündschloss, Lenkrad, Automatikgetriebe, Gaspedal und Bremse. Die Fahrbedingungen kann man wählen: Fahrt bei Nacht, bei Regen, bei Schnee oder bei Sonne. Die Geschwindigkeit muss man selbst wählen: Man gibt Gas oder bremst. Auf dem Bildschirm tauchen Landschaften und Städte auf. Ein Reh kann plötzlich auf die Fahrbahn springen, eine Ampel auf Rot schalten, ein Auto die Vorfahrt nehmen. Jens, 20 Jahre, sitzt angespannt am Steuer. "Ich habe die Schneefahrt gewählt. Einmal ist mir das Auto schon weggerutscht, als ich zu schnell war. Aber das ist toll hier, man kann üben, ohne dass was passiert. Und man sieht, in welcher Situation das eigene Auto zum Schrotthaufen werden könnte.“
Ein Fahrlehrer mit dem lustigen Namen Rudi Ratgeber gibt den Fahrern Tipps: "Bei Eis in den Kurven das Gas wegnehmen und vor der Kurve langsam den Gang runterschalten.“
Die Fahrer bekommen im Anschluss an den Test ein Blatt, auf dem die Reaktionszeit bei Erscheinen des Rehs, die Fahrzeit, die gefahrene Distanz und die Anzahl der Unfälle aufgelistet sind. Die Jugendlichen vergleichen ihre Tests untereinander. Schließlich traut sich auch Karen,19 Jahre, eine Runde mit dem Fahrsimulator zu drehen.
"Ganz ehrlich, wenn wir Mädels mal was sagen würden, nämlich: bitte schnallt euch an und heizt nicht so, dann würde vermutlich weniger passieren. Denn eigentlich sind die Heizer-Typen (3) nur doof. Und mit denen fahren wir gar nicht gern. Tja, und wer dann das Mädchen seiner Wahl nicht mitnehmen darf, der überlegt sich vielleicht, ob es lohnt, immer nur Vollgas zu geben ...“
Jutta Schütz

Worterklärungen

1 Auto, Motorrad frisieren - durch Umbauen schneller machen
2 Drogen einwerfen - Drogen (Pillen) schlucken
3 Heizer-Typen - Schnellfahrer

Internet-Tipp:
http://www.landesverkehrswacht-nrw.de/