JUMA 1/2002

 
Schulsport im Abseits?

Stell dir vor, es ist Sportunterricht und niemand geht hin! Oder: Warum Sportunterricht bei vielen Schülern nicht beliebt ist ...

Alte Sporthallen, unmoderne Geräte: Das ist nur ein Teil des Problems.

Sport gehört bei Sören, 18, dazu, zum "Lifestyle“, wie er selbst sagt. Er ist mindestens zweimal zweimal in der Woche sportlich aktiv - beim Fitnesstraining im Jugendzentrum oder beim Fußballspielen auf dem Sportplatz. Die Freude an der Bewegung hat er vor allem während der Freizeit. Den Sportunterricht an seiner Schule würde er dagegen am liebsten ausfallen lassen.

Mit dieser Meinung ist Sören nicht allein. Viele Schüler, besonders ältere, finden den Schulsport eher langweilig. Ihr Desinteresse hat Politiker und Funktionäre aufgeschreckt und eine öffentliche Diskussion über die Bedeutung des Schulsportes und seine momentane Situation ausgelöst. So beklagte der Präsident des Deutschen Sportbundes, Manfred von Richthofen, dass es "alles andere als ein Ruhmesblatt sei, dass ... der Schulsport ... nach unten zeigt.“
Die öffentliche Diskussion über die Perspektiven des Sports an Schulen ist aber nur die Spitze einer langjährigen Entwicklung. Die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen und Bedürfnisse der Schüler blieben lange Zeit unberücksichtigt. Früher war es in der Schule wichtig Klimmzüge zu können. Sonst galt man als unsportlich. Heute erntet derjenige Anerkennung, der auf Inlinern skatet, Snowboard fährt oder Breakdance kann. Der Freizeitsport bestimmt das Sportverständnis der Mehrheit.
Erschwerend kommt hinzu, dass in den letzten Jahren zu wenige Sportlehrer ausgebildet worden sind. Jetzt besteht ein Mangel an jüngeren Lehrkräften. Das beklagte auch Maria Hildebrandt von der Hamburger SchülerInnenkammer auf einem Medien- forum zum Thema "Hamburgs Schulsport im Abseits“. "Viele Lehrer sind zu alt. Sie können Übungen nicht vormachen. Von Trendsportarten wollen sie nichts wissen“, äußerte sich die Schülerin bei der Diskussion. Sie beschrieb damit eine Situation, wie man sie sicherlich nicht nur in Hamburgs Schulen antrifft.

Marias Forderung an alle Sportlehrer: "Den Unterricht offener gestalten und den Schülern mehr Mitbestimmung gewähren!“ Unterstützt wurde sie in der Diskussion von einem sachkundigen Fachmann. Der Sportausschuss-Vorsitzende der Gewerkschaft Erzieh-ung und Wissenschaft, Rainer Kuh- feld, sagt: "Schulsport muss Spaß machen. Das ist aber nur der Fall, wenn er abwechslungsreich gestaltet wird.“ Ein Unterricht, der den Schülern Spaß bringt und sie zur Teilnahme motiviert, scheitert aber oftmals an den Kosten. Viele Schulen haben nicht die nötige Ausstattung, um die Schüler beispielsweise in der Trendsportart ,Klettern’ zu unterrichten.
Dabei lohnt es sich, den Sportunterricht anregend zu gestalten. Denn der Schulsport ist für Fitness und Gesundheit jedes Schülers wichtig. Nicht nur Erwachsene leiden heutzutage unter Bewegungsmangel. Auch die Jüngeren sitzen fast den ganzen Tag: im Schulunterricht und bei den Hausaufgaben, am Computer und vor dem Fernseher. Die Folgen sind gesundheitliche Schäden und damit verbundene Kosten für die gesamte Gesellschaft.

Eine Initiative "Schulen ans Netz“ gibt es schon. Bundespräsident Johannes Rau regte jetzt eine weitere Initiative an: "Schüler auf den Sportplatz oder in die Halle oder ins Schwimmbad!“ Er sagte: "Das Klicken mit der Maustaste stärkt vielleicht die Muskulatur des rechten Zeigefingers, wird aber auf absehbare Zeit keine olympische Disziplin werden.“
Mindestens genauso wichtig wie die gesundheitlichen Vorteile sind die sozialen Aufgaben, die der Schulsport übernehmen kann. Bundesinnen-minister Otto Schily (SPD) forderte darum einen intakten Schulsport. "Wer den Schulsport vernachlässigt, der schadet der inneren Sicherheit“, sagte er. In der Schule kann man viel gegen Gewalt und Verrohung in der Gesellschaft tun. Der Sportunterricht bietet die Möglichkeit, Aggressionen abzubauen und den rücksichtsvollen Umgang mit Schwächeren zu lernen.
Bislang spürt man von diesem Fairplay wenig: Nicht das bewusste Miteinander ist gefragt, sondern die Disziplinierung der Schüler durch den Lehrer, das Einhalten von starren Regeln. Wer im Sportunterricht zu laut ist, wird bestraft.
Sportarten wie Synchronturnen machen den Schülern die Stunden zur Qual. Es gibt auch Sportlehrer, die den Unterricht zu anderen Zwecken nutzen. So achtet beispielsweise ein Sport- und Deutschlehrer in Köln darauf, ob seine Schüler auch während der Sportstunden ein korrektes Deutsch sprechen.
Der Sportunterricht braucht eine neue Perspektive. Die übliche Zensierung, bei der allein gute sportliche Leistungen zählen, motiviert leistungsschwache Schüler überhaupt nicht. Wenn aber beim Sport nicht die Leistung zählt, trauen sich viele Schüler mehr zu. Bewerten kann man ja auch theoretische Kenntnisse, Teamfähigkeit und Hilfsbereitschaft.

Wird der traditionelle Leistungsport also von den Schulen verschwinden? Es könnte sein. Verschiedene Bundesländer haben bereits die Aufgaben des Schulsports neu festgelegt. Die Erwartungen an den Lehrer sind hoch: Vielseitige Helfer sollen sie sein statt hochqualifizierte Trainer. Bewegung, Spiel und Sport sollen in Zukunft die Wahrnehmungsfähigkeit verbessern, neue Bewegungsmöglichkeiten eröffnen, die Selbsteinschätzung fördern, Leistungen erfahrbar machen, soziales Miteinander schulen und das Gesundheitsbewusstsein fördern. Dann, so glaubt man, wird der Schulsport endlich von allen akzeptiert. Petra Kroll