JUMA 4/2001

  Talkshows:

Mit Quatschen zur Quote

Wer nachmittags im Fernsehen zappt, kann ihnen kaum entkommen: Talkshows laufen auf fast allen Kanälen ...

Die Grenze verlief genau in der Mitte der Neustraße. Erst trennte ein Zaun die deutsche und die niederländische Seite. Später kamen Blöcke aus Beton, die man nicht überqueren durfte (rechts).
Natalie und Stefan haben ein Problem. Sie wollen heiraten, aber Natalie ist erst 16 Jahre alt und ihre Mutter ist dagegen. Jetzt diskutieren die drei ihre Meinungen öffentlich vor laufenden Kameras. Ab und zu unterbricht das johlende Publikum ihr Gespräch. Besonders dann, wenn die Zuschauer anderer Meinung sind als die Gäste auf dem Sofa. "Du bist zu jung für die Ehe“ ist heute Thema bei "Nicole“. Die jugendlich auftretende Moderatorin hat eine Sendung, die ihren eigenen Namen trägt. Sie gehört zu einer Riege von Talkmastern, die tagein, tagaus im Fernsehen zum Gespräch laden. Egal, ob die Sendungen nun "Nicole“, "Arabella“, "Andreas Türck“ oder "Bärbel Schäfer“ heißen: Den Machern der Talkrunden geht es vor allem um eins: Mit reißerischen Themen wollen sie Quote machen. Das heißt, möglichst viele Zuschauer vor die Bildschirme locken.
Anna und Mara schauen sich regelmäßig Talkshows im Fernsehen an. Wenn sie nachmittags aus der Schule kommen, sind die Sendungen für sie ein gutes Mittel um abzuschalten. Dass ,Menschen, wie du und ich‘ in Talkshows zu Wort kommen, finden sie spannend. Es stört sie nicht, dass es in den
Bärbel Schäfer
Gesprächen über Ehe- oder Beziehungs-
probleme, über Geld- und Geschmacksfragen oft zum Krawall kommt. Im Gegenteil! Anschreien und Beleidigen gehört zum Umgangston der Sendungen, in denen auch schon mal ein Gast eine Träne vergießt.
Warum Talkshows gerade jugendliche Zuschauer vor die Bildschirme locken? Immerhin bezeichnen sich 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen als Fans von Talkshows.
Arabella
Das ist ein Phänomen, mit dem sich bereits mehrere wissen-
schaftliche Studien beschäftigten. "Die meisten Jugendlichen erhalten durch die Talkshows das Gefühl, dass es ihnen besser geht als den Gästen“, so die TV-Forscher der Landesmedienanstalt. Dabei erkennen viele der jungen Zuschauer aber auch, dass der Streit überwiegend provoziert ist. Die Teilnehmer einer Talkrunde werden mit Überraschungsgästen konfrontiert. Dann trifft die Emanze auf den Macho, oder zerstrittene Freunde und Familien begegnen sich. Manchmal sitzen im Publikum auch sogenannte "Aufreger“. Sie heizen die Stimmung durch Zurufe oder Wortmeldungen an. "Werd’ doch erst einmal
Oliver Geissen
erwachsen“, bekommt Natalie bei ihrem Auftritt vor der Kamera zu hören. Und: "Du kannst doch noch nicht einmal eine Familie ernähren. Verdien’ doch erst mal dein eigenes Geld“, versucht man ihren Freund zu provozieren.
Andreas Türck
Wie die Gäste manipuliert werden, mussten auch zwei Schülerinnen aus Köln erfahren. Sie traten zum Thema "Meine Gang ist mein Leben“ vor die Kamera. Als die Mädchen mit einer anderen Gang konfrontiert wurden, fühlten sich die Freundinnen provoziert und reagierten aggressiv mit Beschimpfungen. "Die sind eigentlich gar nicht so“, meinten ihre Mitschüler und Lehrer nach der Sendung. Am Konzept der Sendungen haben die Verantwortlichen bis heute dennoch nichts geändert. Und wie bisher scheinen den Talkshows weder die Gäste noch die Zuschauer auszugehen!