JUMA 2/2001

  Das Zerstörte sichtbar machen

Wie geht man mit der Vergangenheit um? Diese Frage ist in Deutschland stets aktuell. Denkmäler und in den Boden eingelassene Umrisse von ehemaligen Synagogen erinnern an den nationalsozialistischen Vernichtungsfeldzug gegen Juden, ihre Kultur und die Zeugnisse ihrer jüdischen Bau- und Religionsgeschichte. Doch reicht das allein? Studenten aus Darmstadt gingen einen neuen Weg ...

Die Münchener Synagoge (Bild unten) war mit 1000 Männer- und 800 Frauensitzen einer der bedeutendsten jüdischen Sakralbauten in Deutschland.
„Im Frühjahr 1994 baten mich acht Architekturstudenten der Technischen Universität Darmstadt, ein Seminar unter dem Titel ,Visualisierung des Zerstörten‘ durchzuführen. Es ist eine Zeit, in der die Ausgrenzung von Minderheiten und Andersdenkenden spürbar ist, einhergehend mit rechtem Gedankengut, das wieder öfter zutage tritt. Es ist das Jahr 1994, in welchem auf die Synagoge in Lübeck ein Brandanschlag verübt wird. Mit der virtuellen Rekonstruktion der in der Reichsprogromnacht von den Nationalsozialisten zerstörten Synagogen wollen sie ein Zeichen des Mahnens und Erinnerns, aber auch ein Bekenntnis ihres Denkens und Handelns ablegen. Gleichzeitig wollen sie die bauhistorische Bedeutung dieser Bauwerke in Erinnerung rufen, prägten doch die Synagogen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts das Erscheinungsbild vieler Städte ...
Architektur ist Stein gewordene Gesellschaftsordnung. Sie gibt Auskunft über das Denken und Handeln der Menschen in ihrer Zeit. Gleiches gilt auch für Architektur, die von Menschenhand zerstört wird. Die systematische Zerstörung der Synagogen und Bethäuser, über 1 400 an der Zahl, wurde zur unheilvollen Ankündigung dessen, was dann geschah. Der Vernichtung des sichtbaren Teils einer blühenden Kultur folgt die Ermordung von etwa sechs Millionen europäischer Juden ...
Nur wenige Fragmente sind geblieben, nur wenige Spuren helfen uns heute, uns von den zerstörten Synagogen ein Bild zu machen. Wir mussten feststellen, wie unsensibel und mit welcher Ignoranz mit diesen Fragmenten und den Standorten der Synagogen bis in die jüngste Zeit umgegangen wurde ...“

Zitat (gekürzt) aus: Manfred Koob, Visualisierung des Zerstörten, in: Synagogen in Deutschland – eine virtuelle Rekonstruktion, Publikation zur Ausstellung; (c) 2000 Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
Die Synagoge von Plauen wurde 1930 im Stil der Neuen Sachlichkeit errichtet.
Die Kölner Synagoge (links der Blick in die Kuppel) war im neo-islamischen Stil errichtet worden. Der Innenraum beeindruckte durch seine Farbigkeit.
„ ... die 3D-CAD-Simulation, eine Technologie, die erst seit etwa zehn Jahren angewendet wird, (hat) neue Formen der Darstellung nicht mehr vorhandener Bauwerke ermöglicht ...
Die 3D-CAD-Simulationen ermöglichen, in einem dreidimensionalen Computermodell von einem Moment zum nächsten jeden denkbaren Blickwinkel einzunehmen und Raumeindrücke eins zu eins aus der Perspektive des Betrachters zu gewinnen. Die 3D-CAD-Simulation kann so einen hohen Grad an räumlicher Vorstellungskraft erzeugen. Virtuelle Rundgänge innerhalb und außerhalb des Gebäudes verstärken diese Wirkung nochmals.
Die Faszination dieser neuen Technologie sowie das Interesse an Architektur und NS-Zeit führten bei mir, ausgelöst durch den Brandanschlag auf die Synagoge in Lübeck im Jahre 1994, zu der Idee, Synagogen, die in der NS-Zeit zerstört wurden, mittels Computer zu rekonstruieren. Die so gewonnenen räumlichen Eindrücke - sicher nur eine Annäherung an das zerstörte – stehen nun durch das Internet weltweit zur Verfügung ...
Die Generationen des 21. Jahrhunderts werden das weltweite Netz mit großer Selbstverständlichkeit benutzen und Informationen und Anregungen darüber beziehen. Erinnerungskultur, will sie die Menschen erreichen, wird sich zwangsläufig früher oder später dem nicht entziehen können. Dadurch wird das Erinnern an den authentischen Orten aber keineswegs überflüssig. Zeitgemäßes Erinnern und Mahnen bedeutet für mich Parallelität des Ortes: historische Authentizität an den materiellen Orten einerseits und immaterieller Erinnerungsort im Netz andererseits ...

Zitat (gekürzt) aus: Marc Grellert, Chancen neuer Medien in der Gedenkkultur, in: Synagogen in Deutschland – eine virtuelle Rekonstruktion, Publikation zur Ausstellung; (c) 2000 Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland.