JUMA 2/2001

 
Bernd Lunghard

Gedichtbehandlung

Heut haben wir ein Gedicht durchgenommen.
Zuerst hat’s der Lehrer vorgelesen,
da ist es noch schön gewesen.

Dann sind fünf Schüler drangekommen,
die mussten es auch alle lesen;
das war recht langweilig gewesen.

Dann mussten drei Schüler es nacherzählen –
Für eine Note; sie hatten noch keine,
da verlor das Gedicht schon Arme und Beine.

Dann wurde es ganz auseinander genommen,
und jeder Vers wurde einzeln besprochen.
Das hat dem Gedicht das Genick gebrochen.

„Warum tat der Dichter dies Wort wohl wählen?
Warum benutzte er jenes nicht?“
Und schließlich: „Was lehrt uns dieses Gedicht?“

Dann mussten wir in unsre Hefte eintragen:
Das Gedicht ist ab Montag aufzusagen.
Die ersten Fünf kommen Montag dran.

Mich hat das zwar nicht weiter gestört;
ich hab das Gedicht so oft heut gehört,
dass ich es jetzt schon auswendig kann.

Aber viele machten lange Gesichter
und schimpften auf das Gedicht und den Dichter.
Dabei war das Gedicht zunächst doch sehr schön.

So haben wir oft schon Gedichte behandelt.
So haben wir oft schon Gedichte verschandelt.
So sollen wir lernen, sie zu verstehn.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus:
Hans Joachim Gelberg (Hrsg.), Großer Ozean – Gedichte für alle, Beltz&Gelberg © 2000 Beltz Verlag, Weinheim und Basel




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Redaktion JUMA
Gedicht
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