JUMA 2/2001

  Festival-Sommer

Winter dauern in Deutschland viel zu lange. Sobald die Sonnenstrahlen wieder wärmen, treibt es Jung und Alt aus den Wohnungen. Es könnte einem ja die Decke auf den Kopf fallen! Die Zeit ist reif für Festivals: Musik und Tanz,wummernde Lautsprechertürme und Picknick mit Freunden. Oder Schlammschlacht und durchnässte Zelte. Denn einige Festivals erwischt der Regenguss wirklich heftig. Harald Fette hat sich für JUMA in der Republik umgeschaut und die wichtigsten und traditionsreichsten Musikfeste ausfindig gemacht.

Auf den Festivals kann man jede Menge Stars sehen – wie hier während der Musikmesse Popkomm in Köln. (oben)
Manchmal dauern die Festivals mehrere Tage. Da braucht man auch mal die Zeit, um sich auszuruhen. (unten)
Die Großen

Loveparade Berlin

Ein Ereignis, das weltweite Aufmerksamkeit erregt. Wenn hunderttausende junger Menschen durch die Straßen im Herzen Berlins tanzen, bekommt Veranstalter Dr. Motte leuchtende Augen und erzählt seinen Traum vom Weltfrieden. Es ist das gigantischste Spektakel, das unter freiem Himmel stattfindet. Die Techno-Klänge kommen von Lkws, die zwischen der tanzenden Menge fahren. Aber die Loveparade hat nicht nur Freunde: House- und Drum’n Bass-Fans veranstalten zur gleichen Zeit eine Alternativ-Veranstaltung meist in den Vierteln des Berliner Stadtteils Kreuzberg.

Hurricane/Southside

In Scheeßel, einem kleinen Örtchen zwischen Hamburg und Bremen, steigt (1) seit einigen Jahren das zweitägige Hurricane-Festival. Rund
45 000 Fans treffen sich, um die aktuellen Top-Acts zu hören. Blur und Massive Attack, HIM und Moby oder Chumbawamba sind zu ihrer besten Zeit dort aufgetreten. Das musikalische Spektrum ist breit gefächert (2). Auf einer kleineren Bühne im Zirkuszelt finden zusätzlich Konzerte mit Newcomern und Independent-Bands statt.
Am gleichen Wochenende wie in Scheeßel ist dieselbe Besetzung auch bei einem Festival im Süden zu sehen: dem Southside-Festival. Zuerst in München, dann im Südwesten des Landes bei Tuttlingen, sucht Southside noch seinen Platz im süddeutschen Raum.

Bizarre

Eine der traditionsreichsten Veranstaltungen ist das Bizarre. In seinen Anfängen an New Wave und Gothic orientiert, präsentierte man düstere Musik, die als alternativ galt – ein gewagtes Unternehmen, damals im Jahre 1987. Doch schnell hat sich Bizarre zu einem der bestbesuchten Festivals – wenn auch anfangs nur für einen Tag – gemausert (3). Mit der Größe kam auch die musikalische Öffnung. Noch dominieren die rockigen Bands, die jung und erfolgreich sind. Aber schon tönen auch Hip-Hop-Klänge aus den Lautsprechern. Das Bizarre ist mehrmals umgezogen. Von der Loreley nach Köln beispielsweise, wo es während der Musikmesse Popkomm der wichtigsten Konzerttag für weite Teile des Landes. Das Fernsehen zeigte in seiner legendären Sendung „Rockpalast“ Konzertausschnitte. Im Jahre 2000 ist das Bizarre, das um die 40 000 Besucher zählt, nach Weeze an der holländischen Grenze – in der Nähe des Ruhrgebiets – ausgewichen und dauert inzwischen 3 Tage. Das Gelände in Köln wurde einfach zu klein.

Rock am Ring

Nicht nur für Autorennen der Formel 1 sind die riesigen Tribünen und stabilen Fahrbahnen gebaut. Auch Rockfestivals kann man am Nürburgring in der Eifel vorzüglich auf die Beine stellen (4). Rock am Ring ist ein Festival der Superlative. Um die 70 000 Besucher bevölkern das Gelände. Auf der Bühne stehen die Künstler des Rock und Pop, manchmal auch des Hiphop, die in den internationalen Hitparaden ganz oben stehen. Pearl Jam, Santana, Sting, Eurythmics, Bush, Jungle Brothers, die Toten Hosen, Reamonn, Rage against the Machine, um nur eine kleine Auswahl des dreitägigen Programms zu nennen. Newcomer finden in der Mittagszeit die Möglichkeiten eines Auftritts. Der Nürburgring, zwischen Köln und Trier gelegen, bekommt also auch noch etwas anderes zu sehen als Michael Schumacher und Mika Häkkinen.

Splash!

In nur kurzer Zeit hat sich Splash!, das Festival mit dem Ausrufezeichen, zu Europas wichtigstem Hiphop-Event entwickelt. Am Stausee in der Nähe von Chemnitz gehört jedes Jahr ein Wochenende der Musik von Bands wie Freundeskreis, Dynamite Deluxe, Die Firma und einer beträchtlichen Anzahl an DJs. Das Chemnitzer Label Phlatine ist Veranstalter und hat die Besucherzahl auf über 20 000 Köpfe gesteigert. Schon Monate vor der Veranstaltung nehmen die Fans im Internet Kontakt zueinander auf und organisieren Mitfahrbörsen und Shuttlebusse.

Rheinkultur
Es ist der Initiative Bonner Musiker und Musikenthusiasten zu verdanken, dass alljährlich am Ufer des Rheins ein beispielloses Musikfest stattfindet. Auf mehreren Bühnen sind es vor allem lokale und unbekannte Bands, die der Verein Bonner Rockmusiker für einen Tag in die ehemalige deutsche Hauptstadt holt. Das Großartige an dieser Veranstaltung: der Eintritt ist kostenlos. Kein Wunder, dass sich 150 000 bis 200 000 Besucher in den Rheinauen drängen. Selbst bei Gewitter und strömendem Regen waren 1999 immerhin 120 000 Besucher dabei. Neben den Newcomern sind immer auch Auftritte absoluter Top Acts dabei, etwa von Therapy. Zusätzlich sieht und hört man Drum’n Bass oder Techno-DJ-s.

Nature One

Kastellaun und Hasselbach sind zwei kleine Dörfer auf dem Hunsrück in der Nähe von Koblenz. Seit acht Jahren treffen sich dort jedes Jahr die Raver – Jugendliche mit XXL-T-Shirts, schlabbrigen Hosen und viel guter Laune. Den Anwohnern ist das Festival recht, sie sind aus früheren Zeiten ganz andere Dinge gewohnt: Einst war hier die Raketenbasis der US-amerikanischen Armee mit Cruise Missiles, atomaren Raketen, angesiedelt. Im Frühjahr 1990 wurde das Gelände frei, und seit acht Jahren kommen auf dem Gelände an einem Wochenende im Jahr um die 50 000 Raver.

Die Etablierten

MTV Hard Pop Days

Es begann in Bremen, das Festival mit aktueller Hiphop- und Rock-Musik. Dank der Unterstützung des Musiksenders kam es in kürzester Zeit unter die Spitzenreiter (5). Dabei ist die musikalische Mischung des Programms immer kontrastreich: Grunge-Rocker stehen hier neben Hiphop-Fans. Im Jahre 2000 entstand aus dem Bremer Festival eine Tour durch sechs Städte: Hannover, Halle, Mannheim, Koblenz, Landsberg und Lichtenfels waren Stationen für die tägliche Show mit acht Musikgruppen. Mal sehen, was den Veranstaltern der MTV Hard Pop Days in Zukunft einfällt.

Summer Jam

Im Norden Kölns, am Fühlinger See, zelten jeden Sommer zehntausende junger Menschen, die in ihrer Kleidung auffallend oft die Farben Rot, Gelb und Grün tragen. Reggae und Dub dominieren den Klang von der Bühne, aber auch Musik aus Afrika und Ska gehören mit ins Programm – Thomas Mapfumo, Femi Kuti oder Afrika Bambaataa beispielsweise. Alle Größen des Reggae oder Ska sind hier in den letzten fünf Jahren aufgetreten.

Ringfest/Popkomm, Köln

Die Popkomm ist die größte Musikmesse der Welt. Hier trifft sich, was in der Musikbranche Rang und Namen hat. Abends sind in den Clubs und Veranstaltungssälen Kölns zahllose Bands zu hören. Da muss sich der Musikfan schon entscheiden, wo er am liebsten hin möchte. Am Samstag des Messewochenendes ist aber auch in der Kölner Innenstadt mächtig was los. Wo sonst Autos und Busse fahren, stehen große Bühnen, auf der jede Menge Bands auftreten – der Eintritt ist frei. Ein Straßenfest mit bester Musik aller Stilrichtungen.

Loreley

Warum ist es am Rhein so schön? Auf einer Anhöhe hinter dem berühmten Loreley-Felsen befindet sich eine Natur-Arena, die wegen ihrer wunderschönen Lage seit Jahrzehnten Musikfestivals anlockt. Die Bizarre-Festivals haben hier statt gefunden, bevor das Areal wegen steigender Besucherzahlen zu klein wurde. Die Loreley ist auch für Reggae-Festivals berühmt. Was in Zukunft dort passieren wird, ist ungewiss. Fest steht, dass die Loreley eines der schönsten Festivalgelände überhaupt ist.

Rock am See

Um die 25 000 Besucher kommen jährlich im Spätsommer an den Bodensee. Ob sie wegen des schönen Wetters zum Baden kommen und das Festival da nur nettes Beiwerk ist? Das bleibt die Frage. Musikalisch spannt Rock am See im Stadion des örtlichen Fußballvereins den Bogen weit (6). Mal waren Marius Müller Westernhagen oder Bap die Zugpferde, mal der Barde Leonard Cohen, mal Cure oder Neill Young. Rockmusik jedenfalls, gelegentlich auch der härteren Gangart.

Moers Jazz Festival

Jazz ist eine Minderheitenmusik? Im Prinzip ja. Doch 50 000 Fans, die ein Wochenende lang die Stadt im Ruhrgebiet belagern, sind keine Minderheit mehr. Es gibt keinen zeitgenössischen Jazzmusiker, der nicht schon mal in Moers aufgetreten wäre. Hier sind an vier Abenden um die 500 Musiker zu sehen und zu hören. Moers hat sich immer als Festival des neuen Jazz verstanden. Man setzt also weniger auf die Altgrößen des Musikstils und kümmert sich nicht so sehr um volle Kassen. Ein interessantes, avantgardistisches Programm ist das Ziel. Im Jahre 2001 feiert das Festival 30-jähriges Jubiläum.

Africa Festival

Das Festival im fränkischen Würzburg hat es zu erstaunlichem Erfolg gebracht. Das Kulturprogramm mit ausschließlich afrikanischer Musik kann nicht ohne Sponsoren auskommen. Unterstützung erhält die Veranstaltung durch die Europäische Union, das Auswärtige Amt, das Bayerische Kultusministerium, die Botschaft Südafrikas und Sponsoren aus der Wirtschaft. Immerhin lockt das Festival um die 120 000 Besucher in die Stadt. Es beginnt jedes Jahr mit einem sogenannten Street Day, einem Umzug durch die Stadt, der an Karneval erinnert. Danach findet man auf der Mainwiese neben Konzerten auch Filmvorführungen, Handwerker- und Kunstbasar, Workshops und Kinderprogramm.

Flash

Eines der jüngsten Festivals findet im Fußballstadion des Hamburger Klubs St. Pauli statt. Flash gehört den Fans von Hiphop und Rap. Hier gibt sich die deutsche Szene ein Stelldichein (7). Fettes Brot, Fünf Sterne Deluxe, Absolute Beginner und Ferris MC haben in St. Pauli ein Heimspiel (8). Welcher Standort sich für die Hiphopper langfristig durchsetzen wird, steht noch in den Sternen (9). In Stuttgart beispielsweise hat mit dem „Hip Hop Open“ ein ebenso renommiertes Festival im Süden des Landes begonnen. Hier treten dieselben Bands wie in Hamburg auf. Vielleicht ist ja auch für beide Festivals Platz.

Die Aussenseiter

Tollwood München

Die Veranstaltung zeichnet sich dadurch aus, dass einem andere Festivalteilnehmer auf den Füßen herumtrampeln. Ehemals als Forum für Kleinkunst, Kabarett, junge Musikgruppen und Klängen aus aller Welt gedacht, ist Tollwood enorm gewachsen. In der Nähe des Münchener Olympia-Geländes angesiedelt, verbreiten zwar immer noch Räucherstäbchen und Modeschmuck die ursprüngliche Atmosphäre. Doch der Trubel und die Menschenmassen in den engen Gängen zwischen Zelten und Verkaufsständen erinnern an U-Bahnen zur Rush-Hour. Der Musikstil: die Mischung ist noch immer bunt, aber aufregend Neues gibt es kaum mehr zu entdecken.

Umsonst & Draußen Vlotho

Hier stehen keine Security-Kräfte mit Schäferhunden ums Gelände und passen auf, dass sich niemand einschleicht. Denn in Vlotho spielen seit über 25 Jahren nicht die Stars, sondern Newcomer und regionale Bands. Spaß und gute Laune stehen über dem Kommerz: Der Eintritt ist frei.

Internationales Zelt-
und Musikfestival Freiburg

Um die 150 000 Menschen besuchen jährlich das Festival im äußersten Südwesten der Republik. Seit vielen Jahren steht das Zirkuszelt immer im Sommer an seinem Platz. Das Freiburger Zeltfest bietet nahezu drei Wochen lang Musik und Kabarett. Die Musikauswahl ist breit gefächert. Neben Größen und Newcomern des Rock treten auch frische Hiphop-Bands auf. Das Profil des Zeltfests wird aber auch von ethnischen Klängen aus aller Welt geprägt. Ob Afrika oder Asien, Arabien oder Ozeanien - die Folklore der Welt ist aus Freiburg nicht wegzudenken.

1 Ein Festival steigt – es findet statt
2 Das Spektrum ist breit gefächert – das Angebot ist vielseitig
3 Es hat sich gemausert – es hat sich positiv entwickelt
4 Ein Festival auf die Beine stellen – es veranstalten
5 Spitzenreiter – jemand/etwas in einer Führungsposition
6 Den Bogen weit spannen – ein breites Angebot bieten
7 Man gibt sich ein Stelldichein – man trifft sich
8 Sie haben ein Heimspiel – sie (eigentlich die Fußballer) sind willkommen, weil sie hier
zu Hause sind
9 Es steht in den Sternen – es ist ungewiss

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Wir, das Obstwiesenfestival, sind ein eher kleines unkommerzielles umsonst&draussen Festival, bei dem aber trozdem bekannte Bands wie Emil Bulls, 4lyn, Sportfreunde Stiller, Pur, Scycs, Donots usw gespielt haben und auch noch spielen werden. Auch dieses Jahr findet wieder ein Obstwiesenfestival statt. Nähere Infos unter www.obstwiesenfestival.de