JUMA 1/2001

 
Der Seehund und das Mädchen

Zwei Geschichten von Janne

Janne, 19 Jahre, macht ein Freiwilliges Ökologisches Jahr in der Seehundstation Friedrichskoog. Nach dem Abitur wollte sie zunächst als Aupair-Mädchen ins Ausland. Doch dann entschied sie sich für die Arbeit mit Tieren und bewarb sich bei der Betreuungsstelle für FÖJ-ler in Schleswig-Holstein. Zwei Tage vor dem Abitur bekam sie die Zusage. Zum FÖJ gehört nicht nur die Arbeit im Natur- und Umweltschutz, sondern auch der Besuch von Seminaren zu ökologischen und umweltpolitischen Fragen. Nach dem FÖJ beginnt Janne ein Studium der Biologie in Kiel.
Janne hat Hunger. Wo bleibt der Fisch? Neugierig schaut sie sich um. Da! Die grünen Gummistiefel und den blauen Eimer kennt sie. Schnell rutscht Janne ins Wasser. Genau vor ihrer Nase bewegt sich etwas Silbernes. Nichts wie hinterher und zugeschnappt!
Heute hat Janne Frühdienst. Seit 5 Uhr 30 kümmert sie sich um die Bewohner der Seehundstation Friedrichskoog: eine Gruppe erwachsener Seehunde und viele kleine Jungtiere, die "Heuler“. Die erste Fütterung ist um 6 Uhr. Janne wirft den erwachsenen Seehunden die Fische nicht direkt vor die Nase. Sie winkt mit dem Fisch und schleudert ihn dann ins Wasser. So beginnt eine muntere Jagd quer durch das große Becken. Auch die jungen Seehunde müssen ihre Beute jagen. Janne steht im Becken und zieht die Fische durch das Wasser. Drei kleine Heuler versuchen ihr Glück.
Janne ist satt. Faul liegt sie mit ihren Freunden am Schwimmbecken. Die Sonne scheint. Das macht müde. Eine Runde schwimmen kann man ja immer noch. Wie gut, dass man hier nicht gestört wird!
Um 9 Uhr erwartet Janne die ersten Besucher. Angemeldet sind verschiedene Gruppen. Jetzt im Sommer ist das Interesse groß: Kindergartengruppen, Schulkassen und Feriengäste wollen die scheuen Seehunde sehen, Projekttage machen oder die Arbeit der Station kennen lernen.
Janne hat schon wieder Hunger. Kommt keiner? Anscheinend nicht. Vor ein paar Wochen gab es nur Milchpulver zu essen, später pürierten Fisch. Außerdem hat ein Arzt Janne Blut abgenommen. Damals hatte sie ein Schwimmbecken für sich allein. Erst später kam sie zu den anderen.
Jannes Besuchergruppe steht am Rand des großen Beckens. Die Fütterung beginnt. Ein Eimer Fisch und Stangen mit bunten Bällen spielen eine wichtige Rolle. Tanja, die 29-jährige Leiterin der Station, erklärt Jannes Arbeit mit den erwachsenen Seehunden. Erst einmal müssen alle aus dem Wasser kommen. Die Stangen mit den Bällen sind verlängerte "Hände“ für die Tiere. Am Beckenrand bleiben sie davor liegen. Auf den Rücken legen, durch eine Röhre kriechen, ins Wasser rutschen – das sind Übungen, die zum Training gehören. Diese Arbeit ist jedoch keine Show, sondern Teil eines wissenschaftlichen Programms. So trainiert man das Verhalten der Seehunde zum Beispiel für ärztliche Untersuchungen. .
Wie gut, dass es an Jannes Becken ruhig ist! Hier gibt es niemanden, der klatscht. Draußen im Watt gibt es viele Störungen: den Tourismus, den Wassersport, die Schifffahrt, den Flugverkehr, die Fischerei. Doch davon hat Janne noch nichts mitgekriegt.n. Meistens klappt alles ganz gut. Kein Wunder! Als Belohnung gibt es einen Fisch.
Janne führt die Zuschauer an drei große Fenster im Becken. Hier kann man den erwachsenen Tieren beim Schwimmen zusehen. Ganz nah gleiten sie vorbei; mal auf dem Rücken, mal mit einem kurzen Blick durch die Scheibe. Wer guckt hier eigentlich wen an? "Die machen ‘ne echte Show“, meint einer der Besucher.
Endlich! Janne bekommt wieder etwas zu essen. Der Aal ist schnell, doch schon hat sie ihn. Janne ist eine sehr gute Schwimmerin. Ohren und Nase verschließen sich unter Wasser "automatisch“. So kann kein Wasser eindringen. Scharf sehen kann sie unter Wasser auch. Über Wasser ist Janne etwas kurzsichtig. In der Entfernung erkennt sie nur Bewegungen. Doch dafür kann der Seehund gut hören und riechen.

Janne, Heuler, trifft Janne, FÖJ-lerin. Zum Kuscheln ist der Seehund nicht, auch wenn er so aussieht. Das Tier hat sehr scharfe Zähne. Vorsichtig berührt Namenspatin Janne den Seehund. Bald kommt er wieder ins Meer zurück. Wird sie ihn jemals wiedersehen? Wahrscheinlich nicht. Erwachsene Seehunde wandern mehrere hundert Kilometer im Meer. Nur die Flossenmarke erinnert daran, dass Seehund Janne einmal in Friedrichskoog war. Neugierig schauen die Besucher auf Monitoren und aus dem Fenster der Station zu. Der Bereich mit den Heulern ist für Besucher gesperrt. So bleiben die Jungtiere ungestört.
In der Hauptsaison dauert der Dienst 12 Stunden. Von morgens bis abends kommen die Besucher. Im Winter ist es ruhiger, denn die Heuler sind wieder im Meer. Doch auch die erwachsenen Seehunde brauchen Pflege. Die Tiere können aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr in ihre natürliche Heimat zurück. Zu Forschungszwecken bleiben sie in der Station – und erfüllen noch eine wichtige Aufgabe: Sie helfen dabei, das Verständnis der Menschen für die Seehunde zu verbessern.

Seehunde gehören zur Familie der Robben. Sie werden bis zu 1,8 Meter lang und bis zu 130 kg schwer. Ihr Lebensraum sind die Meere nördlich des Äquators. Seehunde fressen Fische. Im Wasser sind sie Einzelgänger. An Land versammeln sie sich zu größeren Gruppen. Jungtiere werden in den Monaten Juni und Juli geboren.