JUMA 1/2001

  Lieder stehlen

Rockstars besuchen Schulen und diskutieren mit Pennälern. Das Gesprächsthema: Raubkopien von Musik-CDs. Anstatt die Scheiben im Laden zu kaufen, fertigen Jugendliche die CDs in Heimarbeit.

Die 3. Generation geht in die Schulen.
Zehn Mark für die neueste Scheibe von Madonna – gerade mal ein Drittel des Ladenpreises. Zu haben ist das Sonderangebot auf dem Schulhof; allerdings ist das Titelblatt nicht vollständig. Eine Kopie steckt in der Hülle. Und die CD ist von Hand beschriftet.
Jugendliche kopieren zu Hause auf dem Computer oder mit einem CD-Recorder die akutellen Scheiben der Stars. Diese Raubkopien verkaufen sie an ihre Mitschüler. Das ist der Plattenindustrie ein Dorn im Auge (1): Schätzungsweise 60 Millionen CDs werden jährlich in Deutschland kopiert. Davon sind 10 Millionen nicht für den eigenen Bedarf, sondern um Geschäfte zu machen. 1999 hat die Musikindustrie durch Raubkopien vermutlich 220 Millionen Mark verloren. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird alles noch schlimmer. Denn immer mehr Familien in Deutschland besitzen einen Personalcomputer mit CD-Brenner. Damit lässt sich spielend leicht eine CD kopieren. Der CD-Rohling kostet gerade einmal 2 Mark.
Plattenfirmen und Musiker sehen ihre Felle davonschwimmen (2) und gehen in die Offensive. An Schulen zwischen Hamburg und Chemnitz, Mainz und Berlin reichen sich
Mr. President – die Gruppe kämpft gegen das Schwarzbrennen.
mehr als 30 Stars der deutschen Musikszene die Türklinke in die Hand (3). Smudo von den Fantastischen Vier hat die Diskussionstournee gestartet. "Wir müssen den Fans klar machen,“ meint er, "dass die Leistung der Künstler auch bezahlt werden muss.“
Wenn nur noch wenige Fans die CDs im Laden kaufen, sind als erstes die Nachwuchsbands bedroht. Thomas Hofmann, Geschäftsführer der Plattenfirma 3 P, rechnet vor: "Gerade beim Aufbau eines neuen Künstlers zählt jede verkaufte CD. 10 000 Exemplare sind das mindeste für den Durchbruch. Wird ein großer Teil raubkopiert, schafft es kaum noch ein Künstler.“ Nach Meinung der Plattenbosse vernichten 10 000 Raubkopien eine Nachwuchsband. Künstlerin Sabrina Setlur meint in diesem Zusammenhang: "Jeder Künstler sollte die gleiche Chance bekommen, wie ich sie gehabt habe.“
Neben Smudo und Sabrina Setlur sind auch Mr. President, Jazzkantine, Sasha, Liquido, die Prinzen, Subway to Sally, die 3. Generation und Guildo Horn in die Schulen
Mick und die Hexen, die er
in Litauen traf
gegangen. Sie haben sich alle der Initiative "Copy kills music“ angeschlossen und werben bei den Jugendlichen darum, von Raubkopien die Finger zu lassen (4).
Für zu Hause darf jeder Musik auf Kassette oder CD überspielen. Wer die Songs selbst anhört oder für Freunde als Geschenk einen Sampler zusammenstellen möchte, kann das ganz legal tun. Strafbar macht sich ein Jugendlicher erst, wenn er die kopierte Musik verkauft oder bei einer Disko-Veranstaltung spielt. Wer erwischt wird, muss mit Geld- und Gefängnisstrafen rechnen.
"Jeder Künstler sollte die gleiche Chance bekommen, wie ich sie gehabt habe.“ Sabrina Setlur, Sängerin
So sehr Musiker und deren Fans die Initiative "Copy kills music“ auch unterstützen – viele Jugendliche hören dennoch nicht auf die Argumente von Smudo und Co. Ein anonymer Raubkopierer mit dem Künstlernamen Copycat ärgert sich: "Warum soll ich eine Kampagne unterstützen, die völlig nutz- und talentlose kommerzielle Möchtegern-Bands fördert und dabei die Taschen reicher Produzenten füllt?“ Und Raubkopierer Banana Joe meint: "Jahrelang Billigmusik produzieren und sich dann wundern, wenn für so was keiner mehr bezahlen will. Musik besitzt bei vielen Leuten keinen hohen Wert mehr.“
Hat die Musikindustrie selbst mit Schuld an dem Problem? CDs sind teuer. Jugendliche können sich nur noch wenige Scheiben kaufen. Das Interesse wechselt zu anderen Medien und Freizeitbeschäftigungen. Nach jüngsten Prognosen steigt der Preis für CDs in Europa bald auf 40 Mark. Damit werden sicherlich noch mehr Jugendliche zu Raubkopien greifen. Jens Markus Wegener von der Musikfirma Public Propaganda in Hamburg sucht die Schuldigen anderswo: "Jugendliche sind keine Kriminelle, wenn sie gedankenlos Musik kopieren. Es sind die Eltern, denen das Rechtsbewusstsein fehlt.“

1. Es ist ihr ein Dorn im Auge – sie findet es störend
2. Die Felle davonschwimmen sehen – seine Chancen schwinden sehen
3. Sich die Türklinke in die Hand geben – sich in rascher Folge abwechseln
4. (Von etwas) die Finger lassen – (etwas) liegen lassen, nicht machen