Von der Schulbank in den Ratssessel

In Monheim am Rhein gründeten Schülerinnen und Schüler Deutschlands erste Jugendpartei. Sie bekam bei der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen auf Anhieb 16,1 Prozent der Stimmen und zwei Sitze im Rat der Stadt.

Ratsfrau Maike, 18, hat Lampenfieber und blättert in ihren Sitzungsunterlagen. Sie weiß: Heute entscheidet der Rat über die Einrichtung einer neuen Buslinie - ein Antrag ihrer Partei. Die Chancen stehen nicht schlecht. Aber sämtliche Argumente müssen noch einmal "auf den Tisch“.
Ratsfrau Juliane, 18, überlegt, was sie im Namen ihrer Partei zu einzelnen Punkten der Tagesordnung sagen will. Zur Debatte stehen unter anderem Baumaßnahmen, Satzungsänderungen - aber auch jugendrelevante Themen wie die Errichtung einer Skater-Anlage in ihrem Wohnort Baumberg.
Aktion um der Aktion willen?

"Die Gründung einer Partei war eigentlich eine Schnapsidee (2), die aus Langeweile entstand“, sagt Daniel, 17. "Wir haben erst die Partei gegründet und uns dann überlegt, was uns stört“. Daniel ist Schüler und Vorsitzender der Jugendpartei PETO. PETO ist Latein und bedeutet: "Ich fordere!“ Zunächst wussten Daniel und seine Freunde nicht, was sie fordern sollten: "Wir wollten uns ans Rathaus ketten, aber wir fanden keinen Grund dafür.“ Immerhin zeigte die Gründung von PETO, dass sich Daniels Altersgruppe für Politik interessiert. Dabei reden die Erwachsenen immer davon, dass Jugendliche politikverdrossen (3) sind . Am Politikunterricht seiner Schule nimmt Daniel in der Tat schon lange nicht mehr teil: "Zu langweilig!“ Aktive Politik aber macht ihm "richtig Spaß“: "PETO ist keine Protestpartei, sondern eine Spaßpartei im positiven Sinne.“ Die Mitarbeit in einer etablierten Partei findet Daniel völlig uninteressant: "Dort bekommt man vorgeschrieben, was man zu denken hat, und Jugendliche nehmen die sowieso nicht ernst.“ Schließlich könnten die meisten "Grünen“, die sich als politische Alternative für junge Wähler sehen, Daniels Eltern sein. Daniels Parteifreunde sehen das genau so: 50 Prozent der 120 Schülerinnen und Schüler seiner Jahrgangsstufe am Monheimer Otto-Hahn-Gymnasium sind inzwischen Mitglieder von PETO. Das Durchschnittsalter der Wahlkandidaten war 18,3 Jahre. Reaktion der Lehrer nach der Gründung der Partei: "Das hätten wir nicht von denen gedacht!“ Sie hielten ihre Schüler für unpolitisch. Der ehemalige Direktor des Otto-Hahn-Gymnasiums war Bürgermeister von Monheim. Er wurde bei den letzten Kommunalwahlen abgewählt.

Parteichef Daniel, 17: "Abends und am Wochenende fahren die Busse in Monheim viel zu selten und die Verbindungen sind schlecht. Das ist vor allem für Jugendliche ärgerlich. Wir fordern die Zusammenlegung von zwei Buslinien zu einer, die bis 1 Uhr morgens im 20-Minuten-Takt verkehrt.“
Wie gründet man eine Partei?

Bereits zwei Personen können in Deutschland eine Partei gründen. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Wichtig ist die Anmeldung beim Bundeswahlleiter und beim Finanzamt. Dort wird unter anderem geprüft, ob die Satzung, das Programm und die Wahl des Vorstandes mit dem Parteiengesetz übereinstimmen. Weitere Vorschriften kommen hinzu: Eine Partei muss landesweit aktiv sein. Daniel zitiert den Gesetzestext inzwischen auswendig: "Eine Partei muss durch ihre Struktur die Ernsthaftigkeit ihrer Belange zu erkennen geben. Das tut sie, wenn sie regional strukturiert ist.“ Also wählten die Parteimitglieder einen Landesvorstand und 3 Regionalvorstände mit insgesamt 20 Mitgliedern. Hinzu kommen Finanzprüfer, Pressesprecher und ein Schieds-gerichtspräsident, der Konflikte innerhalb der Partei schlichtet. Gut, dass die Partei 3 Monate nach ihrer Gründung schon 30 Mitglieder hatte: Fast jedes Parteimitglied wurde für ein Amt gebraucht.
Ein Jahr später hatte PETO schon über 100 Mitglieder. Auch die Eltern und Großeltern von Daniel traten ein, "aber sie tauchen bei den Parteitagen nicht auf und bekleiden kein Amt. Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass über 20-Jährige bei PETO nicht aktiv werden.“ Dafür unterstützen sie PETO finanziell: Sie bezahlen wie alle Parteimitglieder regelmäßig Mitgliedsbeiträge.
Die meisten Eltern finden die politischen Aktivitäten ihrer Kinder gut. Vorausgesetzt, die Schule leidet nicht darunter.
Die Vorschrift, dass eine Partei innerhalb von 6 Jahren an Landtags-, Bundestags- oder Europawahlen teilnehmen muss, löste PETO in Kooperation mit der Jungen Alternative, die in Zülpich im Stadtrat sitzt. Gemeinsam stellte man eine Kandidatenliste für die nordrhein-westfälischen Landtagswahlen auf.

Eva, 18, PETO-Mitglied im Ausschuss für Bildung, Kultur und Sport: "In dieser Fußgängerzone darf man nicht mit dem Fahrrad fahren. Man soll es bis zu den Ständern schieben. Manchmal verteilt die Polizei Strafzettel. Wir fordern die Markierung eines Fahrradweges.“
Politischer Erfolg

Im Sommer 1999 beschloss die Landesregierung, dass es bei Kommunalwahlen künftig keine Fünf-Prozent-Hürde (4) mehr gibt. Dadurch hatte PETO plötzlich reale Chancen auf Stadtrat-Sitze: "In Nordrhein-Westfalen dürfen 16-Jährige bei den Kommunalwahl ihre Stimme abgeben“, so Daniel, "wir mussten also nur unsere Altersgenossen überzeugen, uns zu wählen.“ Tatsächlich errang die Partei bei der Kommunalwahl am 12.9.1999 rund 6,1 Prozent der Stimmen. Damit hätte sie auch locker die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen. PETO bekam für die nächsten 5 Jahre 2 Sitze im Rat – nur einen weniger als Bündnis 90/Die Grünen und einen mehr als die Freie Demokratische Partei (FDP) und die Bürgervereinigung Mündige Bürger. Bei Abstimmungen bedeutet jeder Sitz eine Stimme.
Die Schülerinnen Juliane und Maike, beide 18, vertreten PETO im Rat. Sie standen auf den Plätzen 1 und 2 der Liste – nicht zuletzt deshalb, weil sie schon 18 und damit wählbar waren. Zusätzlich zu den Abiturthemen büffeln sie nun Sitzungsvorlagen. Mit dem Geld, das sie für die Ratsarbeit bekommen, bezahlen sie unter anderem Fahrkosten, Telefon und Porto. Das Fraktionszimmer ist eine ehemalige Abstellkammer im Rathaus der 43 000-Einwohner-Stadt. Mitglieder anderer Fraktionen zeigten sich bisher hilfsbereit, vor allem bei rechtlichen Fragen.

PETO-Kassierer Daniel, 17: "Im Stadtteil Baumberg fehlt ein Treffpunkt für Jugendliche, zum Beispiel ein Schülercafé. Der Jugendklub wird nur von Kindern besucht. Wir fordern von der Stadtverwaltung, Räume zur Verfügung zu stellen.“
Hartes Tagesgeschäft

Was fordert PETO? Natürlich Politik für Jugendliche. Schließlich sind 70 Prozent der PETO-Mitglieder so alt wie die meisten Wähler der Jugendpartei: unter 20. Ältere Wähler finden, dass PETO den etablierten Parteien richtig Dampf machen (5) soll. Die wichtigsten Forderungen von PETO: günstigere Bustickets für Jugendliche, bessere und häufigere Busverbindungen vor allem abends, mehr Geld für Jugendzentren, die Einrichtung eines Jugend- und Schülercafés, längere Öffnungszeiten der Sportplätze, die Öffnung von Fußgängerzonen für Fahrradfahrer.
Die Durchsetzbarkeit solcher Forderungen ist fraglich: Die christlich-demokratische Union (CDU) hat mit 20 Sitzen die absolute Mehrheit im Monheimer Rat. Damit kann sie alleine regieren. Schnell lernten die PETO-Leute, dass Überzeugungsarbeit und politische Händel (6) daher von Vorteil sind. Bei der Wahl eines stellvertretenden Bürgermeisters stimmten die beiden PETO-Ratsmitglieder für den Kandidaten der "Grünen“, "obwohl es eigentlich richtig gewesen wäre die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) zu unterstützen,“ so Ratsfrau Maike. Dafür hat PETO gemeinsam mit den "Grünen“ eine Ausschuss-Liste aufgestellt. Resultat: Mehr Sitze für PETO.
In den Ausschüssen wird die Politik vorbereitet, über die der Rat entscheidet. Ausschüsse gibt es für alle Bereiche städtischen Lebens: für Städteplanung, für Umwelt und Verkehr, für Bildung, Kultur und Sport . PETO schickt "sachkundige Bürger“ in die Ausschüsse - allesamt Schüler und Mitglieder der Partei. Die beiden Ratsfrauen hätten nicht die Zeit dazu, sich in die komplizierten Sachfragen einzuarbeiten - ein Problem aller kleinen Parteien.
Daniel investiert wöchentlich rund 20 Stunden Zeit in die Politik, Juliane und Maike etwa die Hälfte. Spätestens nach dem Abitur soll Schluss sein damit: "Wir hoffen, dass dann geeignete Nachfolger zur Verfügung stehen. Schließlich sind wir eine Jugend- und keine Seniorenpartei!“

Wortererklärungen:

1 auf Anhieb – sofort
2 eine Schnapsidee – eine unseriöse Idee
3 politikverdrossen – politikmüde
4 Fünf-Prozent-Hürde – unter 5 Prozent der Wählerstimmen keine

Vertretung im Parlament (oder Rat)
5 Dampf machen – hier: zum Handeln zwingen
6 politische Händel – politische Unterstützung auf Gegenseitigkeit


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