JUMA 2/2000
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Abhängen
Der Himmel ist grau. Regen fällt auf den schmutzigen Schnee. Die Straßen und Plätze Berlins sind jetzt äußerst ungemütlich. Doch wohin kann man gehen? Zu Hause ist es langweilig. Wo kann man ein paar Freunde treffen? Eigentlich hat man gar nichts vor. Viele
Abhängen kann ganz schön anstrengend sein. Wir treffen uns immer in der obersten Etage. Dort haben wir den besten Überblick, sagt Johannes, 15. Sein Lieblingsort ist ein Einkaufszentrum an der Frankfurter Allee im Stadtteil Friedrichshain. Von ganz oben kann man sehen, wer unten kommt. An einer Stelle bleiben die Jugendlichen selten. Mal ziehen sie durch die Gänge, kaufen mal hier etwas oder schauen dort. Einen besonderen Blick haben die Jungs natürlich auf die Mädchen geworfen. Die kommen meistens paarweise zum Abhängen. Warum er nun herkommt? Tussen anmachen (2), sagt der 16-jährige Steffen ganz offen. Ich komme nur her, wenn ich Single bin und eine neue Freundin suche, erläutert Robert, 16. Das klingt so, als ob er aus jahrzehntelanger Erfahrung spricht. Auch die anderen Jungen möchten gerne mit Mädchen ins Gespräch kommen. Wir sehen sie auf der Rolltreppe. Dann versuchen wir ihre Aufmerksamkeit zu erreichen, beschreibt Johannes seine Taktik. Auch die beiden 15-jährigen Freundinnen Jenny und Jessica sind oft im Einkaufszentrum unterwegs. Natürlich um Jungs kennen zu lernen, sagen sie. Zwischen vier Uhr nachmittags und sechs Uhr abends sind wir hier, erzählen sie. Was alle dort machen? Quatschen, flirten, Eis essen, ne Cola oder Süßigkeiten holen. Und durch die Etagen ziehen, vor die Tür des Einkaufszentrums, ins Nachbargebäude. Manchmal gehen wir auch von hier aus ins Kino oder in einen Jugendclub, erzählt Steve . Spannung bringen die Katz-und-Maus-Spiele mit den Wachleuten. Denn in vielen Einkaufszentren sieht man die Jugendlichen nicht so gern. Die verärgern unsere Kundschaft und schüchtern ältere Leute ein, sagen die Wachleute. Gar nicht wahr, meinen Patrick und seine Kumpel. Sobald einer der Wachmänner auftaucht, teilt sich die Gruppe. Zwei oder drei Jugendliche gehen in die eine Richtung. Andere fahren per Rolltreppe nach unten. Wiederum zwei oder drei verschwinden in einem Geschäft oder auf der Straße. Den einen oder anderen erwischt es trotzdem: Die haben mir für ein halbes Jahr Hausverbot gegeben, erzählt Martin. Den Grund erzählt er nicht. Doch er nimmt den Vorfall nicht gerade ernst. Meine Mutter arbeitet hier; die bringt das wieder in Ordnung, meint er und zuckt mit den Schultern.
Eine andere Art des Abhängens hat sich Nils ausgesucht. Der 16-Jährige aus Charlottenburg und seine Freunde sind im Hockeyfieber. Immer, wenn draußen schlechtes Wetter ist, trifft man sich unter Tage - in einer Unterführung für Fußgänger. Zum Hockeyspielen ist es hier ideal, sind Nils, sein jüngerer Bruder Marc, 14, und ihre Freunde überzeugt. Der Boden ist nämlich absolut eben. Da können sie sogar mit einem richtigen Puck spielen wie beim Eishockey. Nils hat sich richtige Hockeykleidung gekauft. Er möchte gerne einmal in einem Verein spielen. Marc hat von einem älteren Spieler ein paar alte Beinschoner bekommen. Er spielt den Torwart. Nils hat auch besondere Hockey-Inline-Skater. Die anderen Untergrund-Spieler nehmen ihre ganz normalen Inliner und einen Hockeystock. Ich bin erst zum zweiten Mal hier, erzählt der 14-jährige Maksim. Mit ihm spielen wir nicht so hart wie mit unseren Kumpels, erklärt Nils. Body-Checks und Rempeleien gegen die Wand fallen sowieso aus. Verletzen will sich schließlich niemand. Und was sagen die Passanten dazu? Die meisten nehmen uns gar nicht richtig zur Kenntnis, berichtet Marc. Und wenn viel Betrieb ist, hören wie sowieso auf. Seine Eltern haben ihm scherzhaft gesagt: Pass nur auf, dass dich die Polizei nicht erwischt. Doch mit den Beamten, die ab und zu mal dort Streife gehen, haben die Hockeyspieler ein Abkommen getroffen. Solange wir niemanden behindern, brauchen wir keine Angst zu haben, heißt die Regelung. Daran halten sich auch die Skateboard-Fahrer. Beispielsweise der 18-jährige Johannes. Er kommt etwas später als die Hockeyspieler, sobald die Arbeit vorbei ist. Auch er ist begeistert von dem Boden in der Unterführung. Er versucht Tricks und Kunststücke. Dabei fliegt das Skateboard manchmal durch die Luft. Dann knallt es ziemlich lautstark auf den Boden. Ein paar Passanten schauen schon mal erschreckt auf. Doch Ärger und spitze Bemerkungen gibt es selten. Text: Klaus Martin Höfer; Fotos: Michael Kämpf 1 auf blauen Dunst in Erwartung von etwas Unbestimmten |