JUMA 1/2000

  Hilfe vom Mädchentelefon

In einem neuen Projekt beraten Mädchen Gleichaltrige bei Problemen

Alle Mädchen wurden in Seminaren für ihre Aufgaben geschult
Es ist Mittwoch, 17.00 Uhr. Sarah und Michi werfen ihre Taschen und Jacken auf einen Stuhl. Sie holen ein Kästchen mit Karteikarten vom Fensterbrett und nehmen einen Protokoll-Block aus dem Regal. Sarah sieht nach, ob schon jemand Kaffee gekocht hat. Sie kommt mit zwei Tassen in der Hand zurück und stellt sie auf die Schreibtische. Hier werden die Mädchen in den nächsten beiden Stunden sitzen. Auf jedem der Tische steht ein Telefon. Nach kurzer Zeit klingelt es auch schon: "Mädchentelefon Pro Familia, Sarah, hallo!“, meldet sich Sarah. Am anderen Ende der Leitung meldet sich ein Mädchen, das glaubt, es sei zu dick. Deshalb traut es sich kaum noch etwas zu essen. An anderen Tagen wiederum "frisst es den Kühlschrank leer“. Das Mädchen ist darüber sehr unglücklich.
Sarah stellt Fragen und versucht herauszufinden, warum das Mädchen diese Ess-Störungen hat. Bald bekommt sie es heraus: Der Bruder des Mädchens hat seine Schwester ständig geärgert und ihr gesagt, sie sei zu dick. "Bald habe ich das geglaubt“, meint die Anruferin, "und dann wollte ich immer dünner werden.“ Sarah bespricht das Problem mit dem Mädchen. Außerdem gibt sie ihr die Adresse einer Ernährungsberaterin. Nach 15 Minuten ist das Gespräch beendet. Sarah meint: "Ich glaube, ich konnte ihr ein bißchen helfen.“
Sarah und Michi gehören zu einer Gruppe von acht Schülerinnen im Alter von 17 und 18 Jahren. Sie beraten gleichaltrige und jüngere Mädchen am Telefon. Es geht meistens um Fragen zu Liebe, Sex, Jungs, Verhütung oder Zärtlichkeit. Dieses Projekt ist in Deutschland bisher einmalig. Annika erklärt JUMA den Sinn des Telefondienstes: "Die Idee unserer Projektleiterin war, dass wir Mädchen viel besser Probleme mit Gleichaltrigen besprechen können als eine erwachsene Frau. Also hat Pro Familia (1) nach Mädchen gesucht, die ehrenamtlich eine Telefonberatung für andere Mädchen machen wollten. Daraufhin haben wir uns gemeldet. Die meisten von uns hatten schon Erfahrungen mit solchen Gesprächen im Freundeskreis gesammelt. Da haben wir gedacht: Das können wir auch für andere tun.“
"Unsere Freunde haben ein bisschen gelästert, als wir ihnen von der Telefonberatung erzählten“, lacht Michi, „und die meisten wollten wissen, ob wir Geld dafür bekommen. Viele können sich das einfach nicht vorstellen: Man steckt Zeit in eine Sache, die interessant ist - auch ohne Geld zu erhalten.“

Manchmal melden sich auch Jungs

Alle Beraterinnen bleiben mindestens ein Jahr dabei. Bevor der eigentliche Telefondienst beginnt, werden alle Mädchen geschult. „Man hat uns einiges beigebracht: Wie geht man am besten auf Probleme ein, welche Beratungsinstitutionen gibt es, wie reagiert man bei Scherzanrufen und telefonischen Belästigungen? Schließlich gibt es einen Haufen Spinner unter den Anrufern“, erzählt Jasemin. „Durch die Ausbildung sind wir vorgewarnt. Wir reagieren nicht mehr geschockt, wenn irgendein Typ anklingelt und denkt, er könne unter der Telefonnummer Mädel anbaggern (2). Das kommt natürlich immer wieder vor.“
Die Mädchen haben Schweigepflicht. Namen oder Adressen der Anruferinnen dürfen sie nicht nennen. „Das muss auch so sein. Schließlich ruft niemand an, wenn sein Name nachher überall ausposaunt (3) wird“, meint Annick. „Das hier ist eine anonyme Beratung.“
Alle Mädchen können jederzeit mit der Projektleiterin über auftretende Probleme sprechen. „Außerdem gibt es mit einer Familientherapeutin Supervisionen: Wir reden über Gesprächsprotokolle, klären Fragen und Probleme und besprechen neue Themen.
Zur Beratung kommen die Mädchen immer zu zweit. Das hat seinen Sinn. „Manchmal merkt man, dass man absolut keinen Draht zur Anruferin bekommt (4). Dann versucht man das Gespräch an die andere Beraterin weiterzugeben. Meistens klappt es anschließend besser“, erklärt Annick. „Die häufigsten Fragen gibt es zu Partnerschaft und Liebeskummer“, meint Jasemin.
.Obwohl es eigentlich eine Telefonberatung nur für Mädchen ist, melden sich auch Jungen. Die wollen dann Tipps für ihre Freundschaft mit einem Mädchen aus der Sicht eines Mädchens. „Wir lassen sie auch nicht hängen (5) - vorausgesetzt, der Anruf ist ernst gemeint.“