JUMA 1/2000

  Ein Teil von mir selbst

Immer mehr Jugendliche lassen sich kleine Stecker und Ringe durch Augenbrauen, Nase, Bauchnabel oder Zunge stechen. Auch Tätowierungen werden immer beliebter - trotz der gesundheitlichen Gefahren und der Möglichkeit, dass diese Mode eines Tages vorbei ist.

Die Zunge wurde so dick, dass Natalie nicht mehr sprechen konnte. Heute hat sie keine Probleme mehr mit ihren Piercings.
Piercings sind wie Schönheitsmale

Natalie (20) ist mehrfach gepierct und hat ein Tattoo am Oberarm: "Meinen Nasenring bekam ich mit 14 Jahren. Damals hatten das noch nicht so viele. Danach kam der Bauchnabel-Stecker und später das Zungen-Piercing. Mein Tattoo habe ich jetzt seit über zwei Jahren. Ich habe es keinen Tag bereut. Den Entwurf gibt es nur einmal auf der Welt. Ich habe ihn zusammen mit dem Tätowierer gezeichnet. Das Lippen-Piercing habe ich vor einem halben Jahr machen lassen. Es sieht wie ein Schönheitsmal aus. Ich finde, es hat noch gefehlt: Der Nasenring war mir zu wenig und die Zunge sieht man eigentlich nicht.
Mein Vater war etwas schockiert, als er meinen Nasenring sah. Er dachte, er wäre nur aufgeklebt. Für den Bauchnabel-Stecker brauchte ich seine Unterschrift. Ich war damals noch keine 18. Ich habe sie einfach gefälscht. Das Zungen-Piercing habe ich mir während meiner Ausbildung zur Zahnarzthelferin machen lassen. Am zweiten Tag fing meine Zunge zu schwellen an. Sie wurde so dick, dass ich nicht mehr richtig sprechen konnte. Das Schlimmste aber war: Ich musste mit den Patienten reden. Mein Chef durfte es auf gar keinen Fall wissen. Piercings und bunte Haare waren in der Praxis nicht erlaubt. Durch Piercings wird Schönheit interessant. Makellose Schönheit finde ich langweilig.“

Till denkt, dass er sein Tattoo auch noch mit 60 mag.
Mein Vater findet es grauenhaft

Till (20) hat ein Bauchnabel- und ein Zungen-Piercing und ist am Oberarm tätowiert: "Meine Tattoos bedeuten mir sehr viel. Sie stehen für mein Leben. Ich liebe die Sonne und bin Leistungsschwimmer. Darum habe ich den Delfin und die Sonne gewählt. Mein Zungen-Piercing kommt gut an, auch beim Küssen. Ich denke, das Tattoo wird mir auch noch mit 60 Jahren gefallen.“

Die meisten Freunde mögen Elodies Tattoo.
Elodie (19) ist am Rücken tätowiert: "Ich habe mich dort tätowieren lassen, damit ich mich an meinem Tattoo nicht satt sehen kann. Zuerst wollte ich einen Panter haben. Aber das könnte sehr brutal aussehen, wenn ich später einmal ein Abendkleid trage. Ich habe mich deshalb für ein abstraktes Motiv entschieden. Man kann sehr viele Formen darin sehen. Manche finden, es sieht aus wie ein Vogel. Tattoos sind für mich Körperkunst. Inzwischen ist mein Tattoo zu einem Teil von mir selbst geworden und wird es immer bleiben. Mein Vater findet es grauenhaft, weil es nicht mehr weggeht. Meine Mutter hat sich damit abgefunden. Meine Freundinnen fragen oft: ,Bist du sicher, dass es das Richtige ist?‘ Doch die meisten sehen es sich gerne an.“


Extrem: Arnulf und seine „Body-Suit“-Tätowierung
Viele haben Angst vor mir

Arnulf (26) ließ sich eine Ganzkörper-Tätowierung stechen. Außerdem ist er an Ohren, Brustwarzen, Zunge und Bauchnabel gepierct. An der linken Hand trägt er ein Implantat: "Mit meinem ersten Tattoo habe ich gewartet, bis ich 19 Jahre alt war. Von Anfang an war mir klar, ich will mehr und nicht als Flickenteppich herumlaufen. Bei einem Tätowierer aus New York ließ ich mir einen ,body suit‘ machen. Tätowierungen und Piercings sind wie eine Sucht: Wenn man damit anfängt, will man immer mehr. Es ist eine extreme Form von Individualismus. Man stellt sich als etwas Besonderes dar und hebt sich von der Masse ab. Viele haben Angst vor mir, weil ich zu extrem bin und fremd wirke. So sind meine Tattoos wie ein Filter. Das kleine Tattoo am Körper ist heute sehr modern und wird von allen akzeptiert, aber ein ,body suit‘ schreckt die meisten ab.“

„Piercing ist so ähnlich wie das Tragen von Ohrringen“, findet Deborah.
Deborah (17) ist mehrfach gepierct und hat zwei Tattoos, einen Schmetterling am Knöchel und einen Delfin über ihrem Bauchnabel: "Früher habe ich mir immer Bildchen auf die Haut gemalt. Mein erstes Tattoo bekam ich mit 13 Jahren. Ich habe gebettelt und gefleht, bis meine Mutter es erlaubte. Bei einem Stadtbummel durfte ich mir in einem Tattoo-Laden ein ganz kleines Motiv aussuchen. Ich entschied mich für den Schmetterling. Es tat überhaupt nicht weh. Es ist, als ob man mit einem Kugelschreiber über die Haut fährt. Später habe ich meinen Bauchnabel piercen und tätowieren lassen, weil ich es schön finde. Jetzt schaue ich mir den Delphin am liebsten im Spiegel an. Meine Tätowierungen sind ein sehr persönlicher Körperschmuck.“ Warum man sich täto- wieren lässt? "Warum zieht man Ohrringe an? Das sagt doch alles. Meine Oma war mit meinem Bauchnabel-Piercing gar nicht einverstanden. Sie hatte Angst, dass es sich entzündet. Sonst ist meine Familie sehr modern. Meine Mutter ist auch tätowiert. Von Freunden habe ich nichts Negatives gehört. Viele fragen nur: ,Was machst du, wenn du mal alt bist?’ Darüber mache ich mir heute aber noch keine Gedanken. Es laufen ja Tausende mit einem Tattoo herum. Ich werde also nicht die Einzige sein.“

Pia und Iris haben sich ihre Tattoos aufgemalt.
Mit Blutvergiftung ins Krankenhaus

Pia und Iris sind beide 12 Jahre alt. Sie erzählen: "Wir haben uns spontan mit Henna in der Schule bemalt. Die Tattoos haben wir selbst auf einem Blatt Papier entworfen. Mit Henna kann man sehr gut experimentieren. Manchmal missglückt auch ein Tattoo. Aber da sie nach einer Zeit wieder verschwinden, muss man sich nicht darüber ärgern. Henna-Tattoos finden wir toll, weil sie nicht ewig halten. Aber ein richtiges Tattoo hätten wir auch gern. Doch dafür sind wir noch zu jung. Unsere Eltern erlauben es uns nicht.“
Doch Piercing und Tattoos sind nicht ungefährlich. Davor warnen Ärzte und Gesundheitsämter. Viele Piercer sind nicht ausgebildet. Sie arbeiten mit unsauberen Geräten. Andrea (17) hat es am eigenen Körper erfahren: Sie ließ sich Ohrlöcher stechen und kam mit einer Blutvergiftung ins Krankenhaus.