JUMA 3/2001

  Jugendtreff im Bahnwaggon

Mädchen und Jungen aus Iserlohn packen beim Umbau selbst mit an.

Mit Graffiti besprüht, stehen die beiden Waggons auf einem Schienenstück am Rande eines Wohngebietes.
He, pass auf, frisch gestrichen!" - "Reich mal den Kleister rüber!" - "Achtung, Kopf einziehen!" Solche Rufe konnte man in den vergangenen Monaten in Dröschede öfter hören. Ein ganzer Trupp Mädchen und Jungen bei der Arbeit. Die ungewöhnliche Baustelle: zwei alte Eisenbahnwaggons. Das Ziel: ein eigener Jugendtreff.
Die Vorgeschichte: In Dröschede, einem Stadtteil von Iserlohn (Nordrhein-Westfalen), fehlte ein fester Platz für Jugendliche. "Für die Kleinen gibt’s Kindergärten und Spielplätze. Für die Größeren findet man kaum etwas", stellten die jungen Leute zwischen 14 und 19 fest. Jugendtreffs in anderen Stadtteilen nutzen? "Zu weit weg, zu schlechte Verkehrsverbindungen", lauten die Argumente dagegen. Außerdem: "Manchmal kommt man erst mit 16 rein." Und: "Das eigene Zimmer eignet sich auch nicht besonders."
Darum suchten sich die Jugendlichen ihren Treffpunkt selbst: eine Sitzecke mit Bänken direkt neben einem Wohnblock, bei schlechtem Wetter die Bushaltestelle mit dem Wartehäuschen gegenüber. Doch das ging nicht lange gut. Nachbarn fühlten sich gestört. "Immer wieder kam die Polizei. Die Sache schaukelte sich hoch", erzählt Ralf Sommer, ein Vater. Gespräche, auch mit Politikern, führten zunächst nicht weiter. Denn Räume für einen Jugendtreff hatte man nicht. Ein Neubau war zu teuer. Bei einem gemeinsamen Elternabend mit Polizei und Verwaltung entstand die Idee: Warum nicht einen alten Bahnwaggon umbauen? Herr Sommer nahm sich der Sache an. Doch er musste viele Hürden überwinden. Endlich fand er zwei ausgediente Waggons. Wieder gab es Verhandlungen: mit der Bahn und mit der Stadt. Sogar eine Bescheinigung, dass die Wagen frei von Schadstoffen sind, musste her. Dreimal tagten die Politiker, zweimal traf sich der Bürgermeister mit den Jugendlichen. Es gab große Widerstände bei den Politikern und Bürgerbeschwerden gegen den geplanten Standort. Doch Ralf Sommer konnte die Entscheidungsträger überzeugen und Geld locker machen. Ein normaler Jugendtreff hätte das Fünffache gekostet.
So lief die "Aktion Bauwaggon" an. Die beiden Wagen kamen zunächst auf Schienen. Den letzten Rest des Weges erledigte ein Tieflader. Ein Kran hob die Waggons auf ihren neuen Platz. Der ist praktischerweise direkt neben einem Bolzplatz. Jetzt begann die Arbeit: "Betten, Zwischenwände, Matratzen - alles musste raus", erinnern sich Alex, Sebastian, Alice, Sarah und all die anderen. In den Wagen hatten früher Arbeiter eines Bahn-Bautrupps gearbeitet und gelebt.
Jetzt stehen die beiden Waggons fest verbunden nebeneinander. Eingang und Türen sind behindertengerecht. Wasser- und Kanalanschluss, Strom und Heizung wurden von Fachleuten installiert. Die Jugendlichen tapezierten, strichen und belegten den Boden. Arbeit für Monate. "Und immer wieder neue Probleme", erinnert sich Ralf Sommer, "da brauchte man Geduld und Organisationstalent." Gleich zu Anfang bekamen die Wagen ein neues "Outfit". Die Fenster erhielten Blumenkästen und die Außenwände Graffiti. So will man verhindern, dass andere Jugendliche die Wagen besprühen: "Die Sprayerehre verbietet es, über vorhandene Graffiti zu sprayen."
Als JUMA den Treff besuchte, planten die Jugendlichen gerade einen Bazar, um die leere Kasse etwas aufzufüllen. Denn das Geld für die Inneneinrichtung, für Möbel, eine Musikanlage und eine Küche fehlte noch. Äußerst hilfreich waren Sponsorengelder von Firmen und eine Höreraktion im Lokalradio. Und wenn alles fertig ist? Die Jugendlichen und Ralf Sommer haben genaue Vorstellungen. Auf "ihren" 70 Quadratmetern soll es ein Internetcafé geben, einen Raum zum Flippern und für Spiele, einen weiteren zum Sitzen und Klönen und eine Küche. Eine Altersbeschränkung gibt es nicht.
Für Unterhalt und Betrieb des Jugendtreffs hat man einen Förderverein gegründet, der die Verantwortung trägt. Eine Betreuung durch die Stadt gibt es nicht. "Wir müssen die Kosten selbst erwirtschaften", sagt Sommer. Darum müssen Kinder und Jugendliche einen kleinen Monatsbeitrag zahlen. Anders kann der Verein die Waggons nicht finanzieren. Die Begeisterung bei den Jugendlichen hat sich gehalten, meint Sarah. "Ich finde das gut, ist mal was anderes!"